ÖKONOMIE DER TRAUER

■ Fritz Koenig in der Akademie der Künste

In der Vorstellung von einer Kugel, die auf einem Stab balanciert wird, liegt Energie und Kraft, Ruhe in der Aktivität, der mögliche Sturz und die kontrollierende, aufmerksame Bewegung, die der Schwere der Kugel entgegenarbeitet. Die liegende, nicht einmal mehr rollende Kugel dagegen entspricht größter Passivität, absolutem Stillstand.

Auf Stäbe und Kugeln hat der Bildhauer Fritz Koenig die menschliche Figur in zunehmender Vereinfachung der Zeichen für Glieder, Rumpf und Kopf reduziert. In seinen Epitaphen scheinen sie oft achtlos hingeworfene oder in der Zufälligkeit ihres Sturzes belassene Elemente und tragen damit an der Stelle von gewohnter, ritualisierter Trauer und religiösem Pathos ein Moment existentialistischer Philosophie in sich.

Auf das Thema des Epitaphs, an dem Fritz Koenig seit 1971 arbeitet, konzentriert sich seine Ausstellung in der Akademie der Künste, in der er seit 1968 Mitglied ist. Den Begriff des Epitaphs, Gedenkschrift oder -relief an Grab und Denkmalen, erweitert er zur allgemeinen, universellen Form des Gedenkens an die Toten und wendet sich damit einem traditionellen Thema der Bildhauerkunst zu, das oft in klassizistischen bis kitschigen, naturalistischen bis in ihrer mimetischen Nachahmung des Lebendigen zugleich lächerlichen und rührenden Formen erstarrte. Koenigs Formensprache streift alle Individualität und alles Mimetische ab, entfaltet ihre Differenziertheit aber in dem Verhältnis, das die isolierten Kugeln und Stäbe zu ihrem Umfeld einnehmen. Die Kuben, Platten, schrägen Ebenen, Senken und Rondelle, die die Stäbe und Kugeln tragen, in sich bergen oder festhalten, sind aus dem gleichen Material: vom Rost überzogenes Eisen. Die Trennung, die noch zwischen den ausgesetzten Teilen und ihrer Umgebung besteht, wird in der Einheit des Materials und durch dessen Erosion aufgehoben. Im Rost liegt die Nicht-Gleichgültigkeit des Stoffes gegen die Außenwelt, er überzieht die Zeichen für die Toten und der Gräber mit einer dünnen kommunikativen Haut. Mit dieser Eigensprache des Materials und mit seinen aus Kuben, Quadern und Kugeln entwickelten Formen nähert sich Koenig der auf die Wesenheiten des Materials konzentrierten minimalistischen Kunst von Sierra oder Lechner an - aber für ihn bleibt eine konservative und eindeutige Beziehbarkeit der Gestalt auf den Menschen bedeutend. Er beharrt, als alter bayerischer Humanist, auf den Inhalten.

Koenigs Epitaphe reguliert eine eigenartige Ökonomie der Trauer. Sie abstrahieren von jeglicher Individualität und liefern doch sinnlich faßbare Bilder. Die Kehrseite ihrer Universalität ist die in ihnen beruhigte, ausgeglichene und im Ästhetischen gelöste Trauer, die keine Wunden mehr offenhält, die kein Sich-Verausgaben des Schmerzes kennt. Die schweren Eisenplatten funktionieren auch als Schutzschild zwischen den Lebenden und den Toten.

Eine unfreiwillige und abstruse Komik schleicht sich teilweise in die Wahrnehmung der Epitaphe ein. Werner Lange ('Tagesspiegel‘) dachte beim „Großen Teller„-Epitaph an ein Hühnerbein in der Suppe, mir erschienen auf den ersten Blick die Kugeln und Stäbe im „Epitaph für Viele“ wie ein Haufen weggeworfener Knochen in einer Abfallschütte; beim zweiten Blick durchfuhr es mich eisig, denn nur zu deutlich bezog sich dies auf ein Konzentrationslager. In einem Monument für Mauthausen hat Koenig zwischen zwei abfallenden Hängen eine einzige Figur ausgesetzt. Seine Versuche des Gedenkens an 'Viele‘ sind immer von der Unmöglichkeit gezeichnet, für den Massenmord ein sinnliches Begreifen herzustellen. Seine Verarbeitung der Trauer unterscheidet in ihrer existentialistischen Interpretation von Tod und Trauer als Teil des Lebens nicht die Todesarten und entzieht sich damit historischer Konkretion.

In einigen Epitaphen, auf denen sich zwei Gestalten umfangen, und vor allem in Zeichnungen vom Tanz des Todes mit dem Mädchen zeigt sich Koenigs Interpretation von Liebe, Tod und Vergänglichkeit als den wesentlichen Momenten des Lebens. Er scheint damit aus unserer Zeit herauszurücken in einen von der bildenden Kunst seit Jahrhunderten tradierten Rhythmus des Lebens. Auch in den Zyklen seiner Bilderschriften (dem zweiten Teil der Ausstellung), gewonnen aus zwei miteinander verwobenen Figuren, aus Kürzeln für Roß und Reiter, aus dem Durchspielen bildhauerischer Probleme, schlägt sich diese Distanz nieder. Sie erzählen alles und nichts; ihre Gleichmäßigkeit läßt sie nicht als expressive Seelennotate des Künstlers lesen. Doch die Bilderschriften, deren Grund Koenig oft noch wie Blütenblätter aquarelliert hat, markieren in ihrer Leichtigkeit, durchschimmernden Transparenz und melodischen Verspieltheit immer einen gut nachvollziehbaren Ausflug aus der schweren Materialität der Skulpturen.

Koenig selbst sammelt bayerische religiöse Volkskunst und afrikanische Skulpturen. In Ganslberg, wo er lebt und arbeitet, besitzt er ein Gestüt und züchtet Vollblut -Araberpferde. Diese Verbindung von Arbeit an den statischen Skulpturen mit der kreatürlichen Energie der Pferde, dieser Konzentration verlangende Griff nach zwei entgegengesetzten Polen, die für die Sehnsucht nach Natur und Kultur stehen können, scheint kennzeichnend für seinen Hang zur Universalität. Koenigs Traum von einer dauernden Ausstellung seiner großen Skulpturen in der Landschaft zwischen seinen Pferden wurde durch die Planung einer Autobahntrasse zerstört, die seinen Besitz durchschneidet.

Katrin Bettina Müller

Fritz Koenig in der Akademie der Künste, bis 30. April, geöffnet Di-So 11-20 Uhr, Katalog dort 38 Mark, im Buchhandel 78 Mark.