„Frauen können sehr dogmatisch sein“

■ Gespräch mit Anne Klein, Senatorin für Familie, Jugend und Frauen in Berlin, über Qualifikation, neue Politikformen und mögliche Streitfragen

taz: Anne, du bist seit Jahren Feministin. Du bist jetzt Jugendsenatorin und Familiensenatorin, und du hast den Bereich Frauen dazugekriegt. Wie ordnest du die, ich nenn das jetzt mal Arbeit an der Frauenfrage, in dein künftiges Ressort ein. Wird diese Arbeit ein Übergewicht gegenüber den anderen Bereichen haben?

Anne Klein: Nein, überhaupt nicht. Diese drei Teilbereiche sollen gleichberechtigt nebeneinander stehen. Auch die Verwaltungsebene soll ähnlich konstruiert sein, mit der Ausnahme, daß der Frauenbereich ein Frauenreferat braucht, das vollkommen ausgestattet ist und ausschließlich mit Frauen besetzt, damit die Grundsätze und die Implikationen der Frauenfrage erstmal geprüft, wissenschaftlich erarbeitet und transparent gemacht werden können. Aber die Gewichtung meiner Arbeit, wozu ich verpflichtet bin, ist ganz deutlich, und muß auch so deutlich bei Familie und Jugend sein, gerade natürlich im Angesicht der wirtschaftlichen Verhältnisse, der Jugendarbeitslosigkeit, des ganzen Dramas mit dem Rechtsradikalismus.

Was für Kompetenzen wirst du haben. Wo und wie wirst du eingreifen können?

Das weiß ich jetzt noch nicht. Das kann ich tatsächlich jetzt noch nicht sagen. Das wird man durchsetzen müssen. Im Moment sind das alles nur Versicherungen und gegenseitige Koalitionsversprechen. Man wird erstmal sehen müssen, ob das auch verwaltungsmäßig umzusetzen ist. Das Frauenreferat muß aufgebaut werden, das ist die nächste ganz dringliche Aufgabe in diesem Frauenressort.

Aber du hast doch sicher Vorstellungen über deine Kompetenzen.

Wenn dieses Frauenressort aufgebaut sein wird und wir eine Ebene haben, wo neue Gebiete abgecheckt werden können, die wir umsetzen wollen, dann wird es natürlich juristische Kompetenzen geben. Die erste gesetzliche Initiative wird das Landesantidiskriminierungsgesetz sein. Möglicherweise mit einer Frauenbeauftragen und einer Kinderbeauftragten, die das ausführen.

Es ist ein Ressort dazugekommen, das allerdings erst auf dem Papier besteht. Wieviel Leute zusätzlich sollen neu eingestellt werden?

Ich denke, für das Ressort müßten mindestens 30 Stellen dazukommen.

Was machst du denn mit mit der jetzigen Frauenbeauftragten Frau von Braun und ihren 18 Stellen?

Dazu kann ich überhaupt nichts sagen. Das würde ich nicht alleine entscheiden wollen.

Kannst du dir eine Zusammenarbeit mit Frau von Braun vorstellen?

Natürlich. Aber auch das ist eine politische Frage. Es wird darauf ankommen, wie die Koalition sich das vorstellt.

Frau von Braun hat ja schon 18 Stellen, es sind also schon 18 Frauenstellen da.

Diese Stellen werden auch bleiben. Diese 18 Stellen sind außerdem nicht ausschließlich der Frauenbeauftragten zugeordnet, die gehören zum großen Teil zum Ressort Familie. Zumindest bis zu meiner jetzigen Information. Wie du dir vorstellen kannst, bin ich in der Verwaltungsebene mit dem Geschäftsverteilungsplan noch nicht vertraut. Das wird sondiert mit der Staatsekretärin und mit Frau von Braun selbstverständlich auch.

Verlangst du ein Vetorecht für frauenpolitische Angelegenheiten?

Das würde ich sehr gerne im Rahmen dieses Antidiskriminierungsgesetzes haben wollen.

Die Mehrheit im künftigen Senat ist frauenpolitisch engagiert, das heißt, ihr guckt euch gegenseitig auf die Finger.

Das könnte sein. Ich wünsche mir aber, und ich glaube es auch, daß es gerade wegen des Bewußtseins der Frauen über die Frauenfrage nicht dazu kommt. Und ich hoffe, daß wir uns eher unterstützen werden. Das erwarte ich eigentlich auch, so wie das mit der Koalition bisher gelaufen ist. Die überquotierung zum Beispiel. Im Grunde kann das nur heißen: neue politische Formeln. So wie wir Frauen uns das immer vorgestellt haben, in der Hoffnung die Männer und die Welt der Politik frauenmäßig zu beeinflussen. Das schließt einfach ein, daß das anders läuft.

Frauen sind miteinander manchmal wenig tolerant und kompromißbereit, was passiert, wenn ihr euch untereinander an frauenpolitischen Fragen zerstreitet? Ich denke dabei an die Grabenkämpfe innerhalb der Frauenbewegung. Diese schnell aufflammende Feindschaft, die dann nicht mehr wegzukriegen ist.

Naja, es wird nicht anders laufen als in anderen Gruppierungen auch. Wir müssen lernen, Kompromisse zu finden, soweit wir es nicht schon können. Ich denke, die Frauen haben schon sehr viel gelernt. Wir müssen lernen zu streiten, ohne Spektakel zu veranstalten - auch in der Öffentlichkeit. Vielleicht können wir ein kleines Stücklein von den Männern lernen, mal hinter verschlossenen Türen solche Konflikte auszutragen. In Männerbünden streiten sie sich auch, nur verhalten sie sich klüger, indem sie erstmal die Tür hinter sich abschließen. Und das können die Frauen auch lernen, wobei ich mir wünsche, daß sie es gar nicht lernen müssen, weil es einen andere neue Form von Auseinandersetzung geben soll.

Wie soll die aussehen?

Menschlicher, eine neue menschliche, politische Kultur. Daß man miteinander spricht, ohne den anderen zu demontieren. Daß man versucht Bewußtsein dafür zu schaffen. Daß man offen sein kann für alle Fragen, Problemstellungen und eben auch für alle abwegigen Gedanken. Wir wollen kreativ sein, das heißt, es muß auch die Grenze unseres Denkens überschritten werden. Ohne daß es sich jemand rausnimmt, denken zu verbieten. Frauen können sehr dogmatisch sein, das ist auch das negative Etikett, das dem Feminismus anhängt. Deswegen hab ich so Schwierigkeiten mit dem Begriff Feminismus. Man muß immer wieder neu klären, was heißt es für dich, was heißt es für mich. Und das meine ich mit einer neuen Frauen -Politik-Kultur.

Gibt es jetzt schon inhaltliche Streitfragen?

Ich kann mir eine Menge inhaltlicher Streitfragen vorstellen, aber das gehört ja auch zum Auseinandersetzungsprozeß, der ein Ergebnis haben soll dazu. Es kann ja wohl keine von uns Frauen behaupten, sie habe den Stein der Weisen. Wir stehen jetzt am Anfang unserer frauenpolitischen Vorstellungen im Parlament und in der Fraktion.

Stichwort „Streitfragen“. Es fällt dir sicher etwas dazu ein.

Ich bin mir nicht sicher, ob man zum Beispiel die SPD -Frauen davon überzeugen kann, daß Frauenförderpläne nicht ausreichen. Man kann sich über die Frage streiten, ob die Frauenförderpläne überhaupt eine genügend politische Strategie sind. Ob das politisch opportun ist - die Haltung der SPD dazu - zu sagen, kein Zwang, eben eher die weichere Form. Das muß diskutiert werden, das kann Streit geben, ich bin davon überzeugt, daß die Frauenförderpläne nicht ausreichen.

Wann bekommt Berlin sein Antidiskriminierungsgesetz?

Tja, das wird davon abhängen, wie schnell dieses Frauenressort arbeitsfähig ist. Und damit habe ich meine Probleme. Es sind etwa noch drei Monate bis zu den Parlamentsferien, und ich weiß nicht, ob wir das schaffen können. Zu den zeitlichen Dimensionen kann ich nichts sagen.

Im besten Fall geht das Antidiskriminierungsgesetz über die Frauenförderpläne hinaus.

Ja, aber unbedingt. Es könnte in dem Landesantidiskriminierungsgesetz ein Quotierungsgesetz beschlossen werden mit einer begleitenden Frauenbeauftragen

-wie auch immer.

Was machst du, damit Frauen nachts auf der Straße keine Angst mehr haben?

Tja, eine höchst abstrakte Frage. Was soll ich dazu sagen? Du sprichst auf das Thema „Nachttaxi“ an. Ja, das Nachttaxi soll durchgeführt werden, soweit die finanziellen Kapazitäten ausreichen.

Sie reichen aber nicht aus.

Es wird für uns eine Buschsuche durch das Haushaltsgesetz werden, ob Verschiebungen vorgenommen werden können, unter welchen Schwerpunkten. Aber ich bin vorsichtig, weil wir die ganzen Unterlagen noch nicht haben. Inhaltlich haben wir ja so gut wie überhaupt noch keine Arbeit leisten können.

Was ist mit den Frauenförderungen im öffentlichen Dienst?

Die Quotierung im öffentlichen Dienst könnte auch schon vor dem Landesantidiskriminierungsgesetz eingeführt werden.

Wie behandelt ihr den Begriff Qualifikation?

Der muß völlig neu definiert werden. Das ist auch unser Vorwurf an das formelle Gerede von Quotierung, das nützt uns gar nichts, wenn nicht die Qualifikationsmerkmale völlig neu interpretiert werden. Beispielsweise die Frage der Berufserfahrung. Daß Berufserfahrung, so wie man das heute fordert, auch die Erfahrung als Hausfrau, die zwei Kinder erzogen und betreut hat, enthalten muß. Das muß eine Qualifikation sein, die neben der bislang definierten Berufserfahrung Bestand haben muß. Man wird deswegen ganz neue Qualifikationsformen konstruieren müssen, in allen Berufsbildern. Man wird lernen müssen, daß Frauen Qualitäten haben, aufgrund ihres So-erzogen-Seins, und ihres So-Seins, die Männer nicht haben, und die offensichtlich auch nicht so schnell anlernbar oder antrainierbar sind.

Wie willst du das umsetzen?

Das müßte gesetzlich zu regeln sein. Aber das würde bei Arbeitgeberverbänden auf Widerstand stoßen, das gefährdet tatsächlich die Privilegien des Mannes. Auf der anderen Seite könnte man es erstmal auf einer unteren Ebene vermitteln. Darin sehe ich auch meinen Auftrag. Indem man den Gedanken immer wieder neu in die Öffentlichkeit bringt, ihn diskutiert, mit den Verbänden, den Interessensvertretungen, den Gewerkschafterinnen. Das bedeutet Überzeugung. Deswegen sage ich auch: Diese ganze Arbeit muß auch an die Adresse von Männern gehen, nicht nur an die Adresse von Frauen, da Frauen schon weiter in ihrem kreativen Denken sind.

Was wirst du als erstes in Angriff nehmen?

Das Frauenressort muß erstmal aufgebaut werden, und der erste Schwerpunkt wird der Jugendbereich sein mit dem Kita -Sofortmaßnahmenkatalog. Dann das Problem mit den Erzieher und Erzieherinnentarifverträgen, das ist wichtig geworden; der Unmut in dieser Berufsgruppe ist erheblich, und ich denke, daß das mit Recht so ist, da muß etwas getan werden. Die müssen richtig bezahlt werden.

Du sagst, du willst feministische Jugendarbeit machen, was heißt das für dich?

Ich will das vorsichtig sagen. Es geht um das Übergreifende, und Jugend ist weiblich und männlich. Die Jungens müssen lernen, andere Rollen zu entwickeln, andere Verhaltensweisen dem anderen Geschlecht gegenüber zu entfalten, schon im Kindergarten oder Hort und erst recht in der Schule.

Du sprichst die Erziehung an, und Erziehung hat was mit den Leuten, die das tun, zu tun. Und die störenden blockierenden Verhaltensweisen gibt man unbewußt weiter. Wie willst du auf die innersten Überzeugungen der ErzieherInnen einwirken?

Ja, das stimmt, diese Jugendarbeit geht nicht, wenn man nicht auch unsere Inhalte an die Menschen weiterträgt, die mit kleinen Menschen zu tun haben. Dafür muß die Vermittlungsebene klar sein. Man darf und kann das nicht dirigistisch machen. Dazu gehören Weiterbildung, Intensivierung der Fortbildung, neue Elemente von politisch -kulturellen Einrichtungen.

Du hast gesagt, Männer seien bereit, feministische Gedanken aufzunehmen und umzusetzen, wie machen die das bzw. wie kriegst du sie dazu?

Das klassische Beispiel ist Herr Momper, das setzt Signale. Und man kann hoffen, daß das gesellschaftlich auch ankommt. Die Frauen werden jetzt immer deutlicher merken, daß ihre Fragen und Probleme ganz wichtig sind, weil sie in zunehmendem Maße wichtig genommen werden. Die Männer werden nicht umhin kommen, sich dazu zu verhalten. Ich könnte mir vorstellen, daß so das bestehende Ungleichgewicht verschoben wird. Intellektuell, verhaltensmäßig, auf allen Gebieten.

Du bist jetzt Chefin einer ganzen Verwaltung.

Ich stell mir das sehr schwer vor. Es wird dazu gehören, daß ich mit vielen Menschen darüber rede. Aber ich freu mich auch ein bißchen darauf. Ich weiß, daß zumindest ein Bereich sich auch darauf freut, vielleicht neue Verwaltungsstrukturen zu erhalten und kreativ mitgestalten zu dürfen. Es sollte versucht werden, die ganze dirigistische Verwaltungsebene aufzubrechen, was innergesetzlich und außergesetzlich mit aller Vorsicht möglich sein wird. Um die Verwaltung untereinander flexibler zu machen, die Motivation dadurch zu stärken und auch die betroffenen Gruppen, die ja von dieser Verwaltungsebene tangiert sind, ebenfalls zu motivieren.

Dein Leben wird sich nun, als Senatorin sicherlich verändern.

Was den Streß und die Anstrengung angeht sicherlich, nicht was mein sonstiges Dasein betrifft. Ich werde weder mein äußeres noch mein inneres Leben verändern. Ich lebe in Frauenbezügen, mit einer Frau zusammen, und freue mich darauf, mit vielen Frauen - nicht zuletzt auch mit den Männern - zusammen zu arbeiten.

Du bist plötzlich herausgegangen aus deinem Alltag, auch aus deiner Anonymität. Du kannst jetzt nicht mehr einfach in die Kneipe gehen.

Das habe ich noch gar nicht realisiert, das ist mir an einem Beispiel aufgefallen, als ich aus dem Rathaus komme und in eine Kneipe will. Plötzlich bleibt jemand auf der Straße stehen, greift mich an der Hand und sagt, das ist ja die Anne Klein, herzlichen Glückwunsch. Ich war völlig erstarrt und guckte und machte mir plötzlich klar, jetzt kennen dich alle Leute auf der Straße. Das jagt erstmal etwas Furcht ein.

Wirst du dich anders anziehen?

Nein das werde ich in keinem Fall tun. Höchstens bei ganz großen Ausnahmesituationen, wo es sowas wie Kleiderzwang gibt, aber da wird man sehen müssen, ob man es durchsetzen kann, diese Rituale ein Stück aufzubrechen. Ich will U-Bahn fahren, Bus fahren, in die Kneipe gehen. Was mit dem Dienstwagen ist, müssen wir uns überlegen. Wenn man mal ein Auto braucht, könnte ich mir auch ein solarbetriebenes kleines Autochen vorstellen. Oder ein Fahrrad mit einem kleinen Ding drauf, wo wir unsere Papiere reinstecken.

Interview: Maria Neef-Uthoff