UdSSR auf dem Weg zur Agrarreform

■ ZK-Plenum beschließt Pachtsystem / Untersuchung gegen früheren Moskauer Parteichef Boris Jelzin

Moskau/Berlin (dpa/taz) - Während sich auf dem ZK-Plenum in Moskau die gemäßigten Reformer mit dem konservativen Flügel offensichtlich problemlos auf eine umfassende Landwirtschaftsreform verständigten, deutet sich zugleich eine schärfere Gangart gegen die radikaleren Reformkräfte innerhalb der KPdSU an. Das Plenum beschloß, eine Untersuchungskommission gegen den früheren Moskauer Parteichef Boris Jelzin einzusetzen, der immer wieder eine Beschleunigung des Demokratisierungsprozesses fordert.

Das ZK-Plenum, das am Donnerstag abend zu Ende ging, hatte beschlossen, ein Pachtsystem einzuführen und die zentrale Agrarbehörde aufzulösen. Unterstrichen wurde die unerwartete Einmütigkeit des Plenums durch den Auftritt von Igor Ligatschow, der die Reformvorhaben vor der internationalen Presse erläuterte. Der frühere Ideologiechef und profilierte Gegenspieler Gorbatschows, der im Oktober letzten Jahres auf den Schleudersitz des Sekretärs für Landwirtschaft herabgestuft worden war, betonte, es gäbe „keinerlei Meinungsverschiedenheiten“ zwischen ihm und Gorbatschow. Versuche, die Parteiränge zu spalten, seien „Wunschvorstellungen“.Es ist indes kein Geheimnis, daß Ligatschow ein Verfechter der Kollektivwirtschaft ist, während sich Gorbatschow nachhaltig zum Anwalt einer „freien Initiative“ der Bauern gemacht hat.

Die entscheidende Maßnahme zur Umstrukturierung des sowjetischen Agrarsektors ist die Teilprivatisierung der Landwirtschaft durch die Einführung des Pachtsystems. Vorgesehen sind langfristige Verträge für Privatbauern und Kooperativen. Auch die Vererbung des Pachtlandes wird künftig möglich sein. Im Vorfeld des Plenums war es zu Konflikten über die Dauer der Pachtverträge gekommen. Der von Gorbatschow eingebrachte Vorschlag einer bis zu 50jährigen Laufzeit wurde dann aber vom Plenum angenommen. Die Bauern könnten künftig, so erläuterte Ligatschow, frei anbauen und zu eigenen Preisen verkaufen. Vage blieb Ligatschows Andeutung, die Staatsbetriebe sollten die privaten Höfe im Hinblick auf die „Notwendigkeiten und Möglichkeiten der Gesellschaft“ überwachen. Er betonte, daß eine Auflösung der Kollektivwirtschaft, auf deren Ineffizienz die chronische Lebensmittelversorgung zurückgeht, nicht beabsichtigt ist. Das Kolchosesystem Fortsetzung auf Seite 2

bleibe auch weiterhin das Rückgrad der sowjetischen Landwirtschaft. Keines der zwölf Politbüromitglieder wolle das Netz der Kolchosen und Solchosen auflösen.

Allerdings sollen die Kollektivbetriebe künftig auf eigene Verantwortung arbeiten. Unrentable Betriebe werden entweder zusammengelegt oder an Bauern verpachtet. Durch die Auflösung des zentralen Landwirtschaftsministeriums „Gosagrprom“ soll die Eigenverantwortlichkeit der Betriebe unterstützt werden. Gorbatschow selbst hatte dieses mit umfassenden Vollmachten ausgestattete Supermini

sterium 1985 gegründet. Insgesamt wertete Ligatschow das Reformvorhaben als einschneidende Maßnahme zur Verbesserung und Demokratisierung der Lebensbedingungen auf dem Lande.

Ob allerdings der ZK-Beschluß, den Radikalreformer Boris Jelzin auf seine ideologische Linientreue hin zu überprüfen, ebenfalls ein Schritt zur Demokratisierung bedeutet, muß bezweifelt werden. Die Prüfungskommission wurde ufgrund mehrerer gleichlautender Eingaben an das Plenumspräsidium eingesetzt. In diesen wird Jelzin beschuldigt, die Abschaffung des Parteiprivilegs und die Einführung eines Mehrparteiensystems gefordert zu haben. Auch mehrere interne Veröffentlichungen der letzten Woche deuten auf eine regelrechte Kampagne gegen den landesweit populären Reformer hin.

s.g.