Swinging Metropolis

■ 22. Vom Groschenprägen

FuMu dürfte bekannt sein, Funktionelle Musik, oder auch Muzak. Wobei es sich weniger um einen griechischen Kartoffelauflauf als vielmehr die Firmierung alldezenten Gedudels zum Reizzwecke konsumwilliger Milchkühe handelt, anzutreffen in Superbauernhöfen & Ökonomiemärkten. Und dann war da noch Misuk, die Brechtsche Klangerfindung im Rahmen seines Epischen Theaters. Sie soll „Selbstwert haben und die Handlung kommentieren, nicht illustrieren“. Diese Gegenentwurf zur „Gefühlsverwirrung“ bei Opern & Sinfoniekonzerten heißt in Klaus Völkers BrechtBiografie „Ausdruck seines Verlangens nach Vernunft auch in der Musik“. Vor lauter Vernunft werden irrationale Fetzen fliegen, bis aus der Idee dramaturgisch Faßbares wächst. Dann aber „sitzen (wir) süß und doof ohne Portemonnaie / Vor unsern leeren Gläsern im Stammcafe / Mittags von Punkt zwölf Uhr / Bis abends um Punkt zwölf Uhr: / Verkehrsinseln in dem Meere der Literatur. / Schriftsteller rings im Kreise, von Brecht bis Kisch - / Mancher benutzt uns episch am Nebentisch.“ Und so weiter spöttelt's in Hollaenders Tingel-Tangel. „Gesang der Mädchen im Romanischen Cafe“, so der Titel, bleibt nicht die einzige singbare BrechtReferenz. Auch Willi Kollo schmückt eine Chansonzeile mit BB: „Damals im Romanischen Cafe, / Wir saßen stundenlang bei einem Glas Tee. / Beiden gings uns damals ziemlich schlecht, / Wir lebten nur von Pump, Kurt Weill und Bertolt Brecht.“ Die romanische Romantik blüht & gedeiht - dort, wo heute das EuropaCenter ins Auge phällt - als NachfolgeInstitution des legendären Cafe Größenwahn, freilich verklärt im Rückblick. Mancher Kunstschaffende fragt sich im nachhinein, wie & wann er eigentlich jemals Zeilen/Noten/Pinselstriche zustandegebracht haben soll, und „ärgert sich noch heute über die vielen, in hochtönendem Kaffeehaus-Geschwätz vertanen Stunden, Tage und Jahre“ (Georg Zivier). Brecht vertut eher bei Schlichter, doch über dies Restaurant ist mir kein Liedl bekannt.

Umgekehrt zu Udo Jürgens („Mein Bruder ist ein Maler“) steht bei Schlichters der Bildende Künstler bis heut als bekannterer da. Max betreibt halt nur ein Lokal, dennoch durchaus nicht ohn Sang & Klang, denn Bruder Rudolf dadaphilen Ursprungs, verkumpelt aber mit der politischen Fraktion um Grosz, Höch, Hausmann, Heartfield, Dix und so transferiert ihm die rechten Gäste an den linken Ort: anfangs in der Marburger Straße, zieht das intellektuelle Stammpublikum ab 1925 mit zur Ecke Luther-/Ansbacher Straße. Döblin, Kisch, Bronnen zählen dazu und, bei Besuchen, die bürgerbissige Weißwurscht Oskar Maria Graf. Wenngleich der Augsburger dem Münchner nie zur Gänze ein Bayer sein mag, es ist ihm schon recht und besser als nix, QuasiLandsmann Brecht hier stets zuverlässig anzutreffen. Diese Adresse teilt man auch Lotte Lenya & Gespons Kurt Weill mit, als sie sich aufmachen, den HauspostillenDichter zu suchen. Und weil Weill aus dessen Mahagonnygesängen ein Libretto schustern will, kommt's im April 1927 zu beider folgenreicher Begegnung. Mahagonny geht als Kurzoper über die Baden-Badener Festivalbühne; der Busoni-Schüler atonaler Prägung & der Lehrstückeschreiber mit dem Proletengetu beschließen weitere Zusammenarbeit. Da schlägt, im Jahr darauf, ein eigenartig Fatum zu.

Ernst Josef Aufricht erbt 100.000 Mark. Aufricht ist Schauspieler und er hat eine fixe Idee. Theaterdirektor will Aufricht werden, grad jetzt, da die Stadt quillt von spektakulären Bühnenereignissen: Paul Lincke mit seinem ScalaVariete, Shaws „Pygmalion“ in Starbesetzung bei Max Reinhardt, die Revue „Zieh dich aus!!“ (Zusatzinformation: „Ein Abend ohne Moral in 30 Bildern“), gestrippt an der Komischen Oper, die Komödie am Kurfürstendamm präsentiert Marlene Dietrich als lesbische Kaufhausdiebin. Aufricht aber ist stur. Frisch von der Leber weg mietet er eine Spielstätte, jene am Schiffbauerdamm ist grade vakant, voller Tatendrang engagiert er zwei Dramaturgen, einen größeren Posten Schauspieler sowie den namhaften Regisseur Erich Engel. Hoffnungsfroh tut er gar seinen Eröffnungstermin kund - nur, was da gespielt werden soll, weiß der tapfere Aufricht selbst noch nicht. Ein Stück! Ein Stück! Ein Königreich für ein Stück! Am Ende letztlich doch verzweifelten Suchens gerät der gestreßte Fantast in die Schlichtersche Kneipe. Um sich zu besaufen vielleicht, doch trifft er statt dessen auf brecht mit dem inzwischen kleingeschriebenen, vornamenfreien Kürzel. Die Rettung naht, allerdings erst am nächsten Montag, denn was bis zum hier abgedruckten Schlußbild der Dreigroschenoper (mit Erich Ponto, Roma Bahn, Harald Paulsen & Kurt Gerron) noch an Groteskem sich tut ... Kinder, da ist Misuk drin.

Norbert Tefelski