„Teuflische Konstruktion §129a“

Ellen Olms, Beobachterin im Strobl-Prozeß, bisherige Bundestagsabgeordnete der AL in Bonn  ■ I N T E R V I E W

taz: Wieso beobachten Sie zusammen mit einer Gruppe anderer Leute gerade diesen Prozeß?

Ellen Olms: Ich habe, wie andere auch, eine besondere Beziehung zu Ingrid Strobl insofern, als ich immer mit sehr großem Genuß ihre Artikel gelesen habe und im Laufe der Jahre auch sehr vertraut mit ihrer Arbeit wurde. In den Bereichen, in denen sie gearbeitet hat, habe ich auch sehr viel politische Kraft investiert. Ich war sehr geschockt, als ich von der Verhaftung hörte und von dem, was Ingrid vorgeworfen wurde. Da gab es für mich sehr schnell eine Möglichkeit einzugreifen. Ich habe Ingrid schon im Januar '87 im Knast besucht und versucht, kontinuierliche Öffentlichkeitsarbeit zu leisten. Da ist es folgerichtig, den Prozeß zu beobachten. Eine kontinuierliche Prozeßbeobachtung von Menschen aus verschiedenen Bereichen wie Kultur, Politik und Wissenschaft halten wir für sehr notwendig, um darüber Öffentlichkeit und Solidarität zu schaffen.

Inwiefern waren Sie von dem, was Ingrid Strobl vorgeworfen wurde, geschockt?

Daß ihr angelastet wurde, einen Wecker gekauft zu haben, und daß zum anderen behauptet wurde, sie habe - und da ist dieser neue Begriff gefallen - zu „anschlagrelevanten Themen“ gearbeitet. Das bedeutet, wenn jemand politisch zu bestimmten Themen arbeitet, macht er sich schuldig oder zumindest verdächtig. Das ist diese teuflische Konstruktion des §129a, die ich in der Auseinandersetzung während meiner Arbeit im Innenausschuß ziemlich intensiv miterlebt habe: Es wird immer die Möglichkeit geschaffen, Leute wegen ihrer Gesinnung zu belangen, ohne daß ihnen konkret nachgewiesen wird, daß sie an bestimmten Taten beteiligt waren. Das haben viele Prozesse zum 129a gezeigt, obwohl man im ganzen sehen kann, daß von der Latte der Anklagen, die zum §129a gelaufen sind, viele wieder fallengelassen werden mußten. Meines Wissens sind weniger als zehn Prozent verurteilt worden.

Wenn Sie jetzt den konkreten Prozeßverlauf ansehen, was ist Ihnen da besonders aufgefallen oder erscheint Ihnen von besonderer Bedeutung?

Dieser Prozeß steckt voller Merkwürdigkeiten. Ich habe schon andere Prozesse beobachtet, aber mir ist aufgefallen, daß gerade am Anfang der Beweisaufnahme fast alle Artikel, die Ingrid geschrieben hat, entweder ganz oder teilweise verlesen wurden, und zwar mit der Begründung, ihre journalistische Qualität oder Qualifikation solle nachgewiesen werden. Das kennt man im normalen Strafrecht nicht. Ein Tischler braucht seinen Tisch auch nicht mitzubringen oder ein Klempner sein Klo, um festzustellen, daß er nun Klempner oder Tischler ist. Tatsächlich sollte wohl deutlich gemacht werden, daß Ingrid zu diesen Bereichen, also in denen auch Anschläge stattgefunden haben, gearbeitet hat und daß sie deshalb als Täterin in Frage kommt. So geht es immer weiter. Zum Beispiel wurden alle Anschläge, die es seit 1973 aufwärts gegeben hat, verlesen: Was haben diese Anschläge mit dem konkreten Tatvorwurf zu tun? Und in den konkreten Ermittlungen, die erörtert wurden, ist mir der Fund des Zifferblatts von besagtem Wecker als merkwürdig aufgefallen. Es wurde nach eineinhalb Tagen Suche ja nicht einmal ein ganzes Zifferblatt, sondern nur ein Teil gefunden, und gerade auf diesem Teil soll die vom BKA eingedruckte Nummer sein. Das finde ich sehr merkwürdig.

Würde es für Sie einen Unterschied in der Bewertung machen, ob Ingrid Strobl nun tatsächlich den Wecker gekauft hat, der bei dem Anschlag benutzt wurde, oder ob es ein anderer war?

Erst mal gibt Ingrid zu, daß sie einen Wecker gekauft hat, und ich denke, es muß zweifelsfrei bewiesen werden, wenn es derselbe Wecker war. Das ist Sache des Gerichts und nicht von mir, das zu beurteilen.

Interview: Gitti Hentschel