Überleben verpflichtet

■ Zum Tod des holländischen Kameramanns Cornel Lagrouw

Als ich Cornel Lagrouw im Frühjahr 1985 in El Salvador bei einem Film über ein Dorf zwischen den Fronten kennenlernte, gehörte er noch zu jenen europamüden Journalisten, die im Krisenherd Zentralamerika eine Möglichkeit für eine berufliche Karriere sahen. Er war ein aufgeschlossener neugieriger Journalist, der in der Kamera sein Werkzeug entdeckte. So wie er es von seinem Vater, einem Automechaniker aus einfachen Verhältnissen, gelernt hatte, ging es ihm zunächst vor allem darum, ein Handwerk zu lernen, das ihm die Gelegenheit bot, unbekannte Länder zu entdecken. „Eigentlich sind wir Journalisten privilegiert“, war eine seiner stehenden Redewendungen, „wir werden für das, was uns Freude macht, auch noch bezahlt.“

Doch sehr bald kam Cornel mit jener Welt Zentralamerikas in Berührung, an der kein Kameramann vorbeisehen kann und darf. Sie lehrte ihn, die Maulwurfperspektive, die Sicht von unten, zu gewinnen. Ein echter professional zu werden war immer sein sehnlichster Wunsch. Das hieß für ihn, einen künstlerischen Zugang zur Wirklichkeit zu finden, doch ein solcher - da machte er sich nichts vor - ist in Zentralamerika immer auch ein politischer.

Als Cornel zu den Wahlen nach San Salvador fuhr, war er sich des Risikos sehr wohl bewußt: Bereits in den Vorwochen hatten sich die Militärpatrouillen Auslandskorrespondenten gegenüber auch für salvadorianische Verhältnisse ungewöhnlich aggressiv gezeigt.

Cornel war sich der Gefahr bewußt, als Soldaten bei einer Straßensperre seinen deutlich als Pressefahrzeug und mit einer weißen Fahne gekennzeichneten Jeep mit den Worten „wir wünschen viel Vergnügen bei der Fiesta“ durchließen. Die Armee ging ausgerechnet in jenem Augenblick zum Angriff über, als er gerade einige der jungen Guerilleros filmte. Eine Kugel traf ihn am Arm und bahnte sich ihren Weg in die Lunge. Als einige Kollegen den Schwerverletzten bergen wollten, wurde das Pressefahrzeug 20 Minuten lang von der Luftwaffe verfolgt und von einem Hubschrauber aus mit Maschinengewehrsalven solange beschossen, bis sich die Journalisten in ein nahegelegenes Haus zurückzogen und den Sterbenden zurückließen.

Ein halbes Dutzend Filme habe ich mit Cornel Lagrouw in Zentralamerika gedreht. Oft hat er einen Leitspruch von Koos Koster, einem 1982 in El Salvador ermordeten holländischen Journalisten, zitiert: „Überleben verpflichtet“. Das gilt für uns, seine Kollegen, weiter.

Leo Gabriel