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Nebel aus der Verstärkerstadt

■ Deathrow und Tankard im Aladin in Hemelingen / Heavy Metal - eine kleine Nachtmusik für Turmspringer und Fische im Brackwasser

Finster scheint der Mond über der bremischen Wüste. Die Kids, zumindest einige davon, stehen draußen vor der Tür, halten blecherne Dosen in die Nacht und erholen ihre Ohren vom infernalischen Gebrodel, das hinter der Tür aus den Verstärkertürmen schwappt. Hohe, breite Lederschultern mit drohenden Nieten und neckischen Stickereien schieben sich zwischen Aug und Bühne, Nebel aus Trockeneis und Zigaretten verschleiert die knappe Sicht. Nebel vor der Bühne, Nebel im Raum, Nebel optisch und akustisch. Drück den Finger ins Ohr, mein Freund, das Hörvermögen ist kostbar.

Was ist hier eigentlich die Show? Die ungelenken Herren, die krampfartig die Köpfe schütteln, die mit den guten alten Mähnen aus den frühen 70ern, die an ihren Gitarren reiben und verklärt

gen Himmel starren, daß die Erleuchtung und noch etwas anderes komme? Im hart wuchtenden Rhythmus der imposanten Trommeln schwankt die Menge, tanzen ist angesagt, tanzen im schwitzenden Umfeld, tanzen und was noch wichtiger ist: das neue Ding hier heißt „Stage Diving“. Und dem muß das „Stage Climbing“ vorausgehen. Hurra, da ist das Abenteuer: Ersteige die Bühne wie einen 8000er, reiße glücklich die Arme in die Höhe, ein Sidestep zum Mikrophon, ein Schrei, du bist der Star: nicht für eine Viertelstunde wie noch Warhol meinte, sondern kürzer, schnell lebiger, eine Viertelsekunde. Die „Stage Hands“, jene smarten jungen Männer, die am Bühnenrand kauern, reagieren schnell, einer nach dem anderen Bühnenstürmer landet kopfüber im Publikum, wo dann noch einige Zeit ein

mitschwingender Fuß zu sehen ist.

Nach einiger Zeit verabschiedet sich „Deathrow“, um endlich Platz zu machen für „Tankard“, die Stars des Abends. Und tatsächlich, „Tankard“ schaffen es, noch lauter zu spielen, noch schneller, noch kräftiger. Das hört selbst mein arg strapaziertes, ungewohntes Ohr. Jedoch will Gewöhnung sich nicht einstellen, es gewöhnt sich auch nicht das Auge an die schmerbäuchigen Musikanten, die mit gepflegt gestutztem Langhaar und Polizeiobermeisterschnurrbärten das Bild von der wüsten Band verderben.

Alles geht weiter: die Musik noch einige Viertelstunden, die Nacht, in der ich noch nicht geschlafen habe, die Weser mit ihrer trägen Salzlake und übermorgen ist Karfreitag. ste

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