Lehnstuhlreisen

■ Sarah Lloyd "Eine indische Liebe" / Gita Mehtas "Karma cola" / Frauen in Indien / Christa Wichterich "Frauen in Indien: Von der Stärke der Schwachen"

Sarah Lloyds Geschichte ihrer Indienreise Eine indische Liebe (rororo neue frau, 9,80 Mark) ist die Geschichte einer Europäerin, die die Landschaften und Menschen Indiens nicht nur in endlosen Zug- und Busreisen an sich vorbeiziehen läßt. Statt dessen verliebt sie sich in Jungli, einen Sikh (oder besser umgekehrt, Jungli verliebt sich in sie), und lebt ein Jahr mit ihm in dessen Dorf als Gast, bis beide von seiner Mutter rausgeworfen werden. Während sie im Dorf täglich bekocht und bestaunt wird, verläuft das zweite Jahr weniger idyllisch mit endlosem Essenkochen in einer kleinen Hütte für die zahlreichen Gäste von Jungli, der inzwischen in einem Sikh-Tempel arbeitet. Jungli ist plötzlich nicht mehr der fürsorgliche, liebende Gastgeber, sondern wird zum indischen Alltagsmann. Aus der romantischen Zweisamkeit vor dem Hintergrund dörflicher Idylle ist über Nacht eine Beziehungskiste in der tristen Einöde geworden. Wenn auch Sarah Lloyd nach außen hin integriert wirkt (lebt sie doch das harte Leben einer indischen Mittelschichtshausfrau, das aus Gemüse putzen, Töpfe schrubben und Saubermachen besteht), so bleibt sie doch zwei Jahre lang Außenseiterin und die Überlegene. Ihre Gefühle für Jungli scheint sie auf Sparflamme köcheln zu lassen, und so bleibt ihr immer die Option, in ihre Kultur zurückzukehren, sollte sie ihr Indienabenteuer für beendet ansehen.

Insider in Sachen Karma und Mantras werden sich, sofern sie genügend Humor besitzen, wiedererkennen in Gita Mehtas Reisebericht über das spirituelle Indien Karma cola (Heyne Verlag, 6,80 Mark). Sie hat sämtliche Gurus, Ashrams, heilige und weniger heilige Plätze besucht, die bis in die späten siebziger Jahre bei spirituellen Indien-Reisenden en vogue waren, immer aufrichtig darum bemüht, die Wunder der Gurus und die übersinnlichen Erlebnisse ihrer Anhänger nachzuvollziehen. Staunend muß sie feststellen, daß die Bedeutung des Wortes Karma offenbar noch vielschichtiger ist, als sie bisher angenommen hat, und daß Mantras alle paar Jahre ausgewechselt werden müssen, weil sie dann abgenützt und wirkungslos geworden sind. Sie selbst wird wohl noch geraume Zeit unerleuchtet bleiben müssen, denn ihr unverbesserlicher Zynismus ließ sie selbst gegen dieses Übermaß an kosmischer Energie, mit dem sie umgeben war, immun bleiben.

Arrangierte Heirat, tyrannische Schwiegermütter, Mitgiftmorde gehören zu unseren Vorstellungen über die Situation der Frauen in Indien. Frauen in Indien (dtv, 9,80 Mark), eine Kurzgeschichtensammlung indischer Schriftstellerinnen bildet den literarischen Zugang zum alltäglichen Kampf der indischen Frauen und ihren kleinen persönlichen Siegen.

Prosaischer ist Christa Wichterichs Perspektive in Stree Shakti. Frauen in Indien: Von der Stärke der Schwachen (Lamuv, 15,80 Mark). Während die Kurzgeschichten entsprechend den Autorinnen vorwiegend in der indischen Oberschicht angesiedelt sind, geht es hier um den alltäglichen Kampf der indischen Unter- und Mittelschichtsfrauen. Mit Berichten über autonome Frauenprojekte und mit konkreten Fallbeispielen soll das Klischee von der duldsamen indischen Frau korrigiert werden. Leider kommt dabei das ambivalente Frauenbild in der indischen Gesellschaft (zum Beispiel die Verehrung der Frau als Mutter und Schwester versus Verachtung der Frau als Ehefrau oder der unterschiedliche Status der Frauen in verschiedenen Schichten) etwas zu kurz.

Elisabeth Schömbucher