ICC-Blamagen

Zehn Jahre Negativbilanz  ■ G A S T K O M M E N T A R

Ob die Architektur des ICC ein Flop ist, sei dahingestellt. Sie ist aus einem phänomenalen Minderwertigkeitskomplex gegenüber der Nasa-Ästhetik entstanden und in dieser Nachahmung gescheitert. Tatsächlich stand hinter diesem monströsen Technikstil, dem alle Architekturstudenten um 1968 verfallen waren, eine noch ziellose Suche nach Kommunikationsintensität, und viele wollten zwischen der begeisterten Lektüre von Habermas‘ Strukturwandel der Öffentlichkeit und solchen Entwürfen keine Widersprüche ausmachen. Wenn die Architekturkritik milde mit dem ICC umgegangen ist, dann deshalb, weil die fixe Idee, das gesellschaftliche Zusammentreffen von vielen Menschen in Airport-Strukturen fassen zu wollen, bis ins letzte Detail durchgehalten worden ist - und das imponiert Architekten immer.

Eine Blamage ist die wirtschaftliche Erfolgsbilanz des Monsterbaus. Wenn heute vorgerechnet wird, daß die auswärtigen Kongreßteilnehmer seit 1979 700 Millionen Mark in das Dienstleistungsgewerbe haben fließen lassen und daß mit diesem Zusatzumsatz von 70 Millionen Mark jährlich ca. 1.400 Arbeitsplätze gesichert werden konnten, dann ist das eigentlich eine Negativbilanz, weil selbst der bescheidenste Taschenrechner sekundenschnell nachrechnet, daß die öffentlichen Zahlungen für das Bauwerk von ungefähr einer Milliarde Mark als Geldanlage auf einer Bank ähnliche Zinsen gebracht hätten mit dem kleinen Unterschied: man hätte das Geld noch und keine Verpflichtung zu jährlichen Subventionen, keine Abschreibungsverzichte und keine technischen Zukunftsrisiken.

Vielleicht muß doch noch einmal mit einer kleinen Anfrage geklärt werden, welche finanzwirtschaftlichen Zukunftsrisiken der teure Bau unter seiner Metallicschale verbirgt, vor allem, wenn seine schnell alternde technische Ausstattung sanierungsbedürftig wird. Oder: Ist eigentlich bekannt, wie es um die Lufthygiene an kritischen Smogtagen in diesem Gebäude bestellt ist, das seine Atemluft aus dem verkehrlich am meisten belasteten Raum der Stadt bezieht? Oder: Ist bekannt, wieviele mittelständisch geführten Veranstaltungsorte durch dieses Megazentrum um ihre Existenz gebracht worden sind? Die angestrengten Jubelinszenierungen zum zehnjährigen Bestehen lassen vermuten, daß die Negativbilanz noch umfangreicher ist.

Wulf Eichstädt