Freundlich, virtous, ritenourt

■ Live klingt der Gitarrist nicht so poliert wie auf der Platte: Lee Ritenour spielte mit Band in der Schauburg und machte die Bremer Gitarristenszene richtig neidisch

Erst gab es eine Entäuschung und dann eine angenehme Überraschung beim Konzert der Lee Ritenour Group in der Schauburg: Der Saxophonist Ernie Watts wurde zwar angekündigt, trat aber nicht auf, so daß die Gruppe mit einem Solisten weniger auskommen mußte, seine Rolle als Ritenours‘ rauer, schwarzer Gegenpol schien unbesetzt zu bleiben.

Damit doch ein bekannter Name im lineup auftauchte, wurde wohl in letzter Sekunde der Starbassist Anthony Jackson verpflichtet, der bei ersten Auftritt dieser Tour noch eifrig in die Noten sehen mußte, einige Songs prima vista zu spielen schien und dennoch seinen Job mit der Souveränität eines routinierten Studiomusikers erledigte.

Überraschend war, daß Ritenours Musik live plötzlich ganz anders wirkte als auf seinen letzten Platten, die immer etwas seicht, zu poliert klangen. Auf der Bühne präsentiert er zwar, neben älteren Stücken aus seiner elektrischen Fusionzeit, das gleiche Material auf der akustischen Gitarre und erweitert auch kaum die Form - fast alle Songs hatten die (airplay-günstige) Songdauer von 4 bis 5 Minuten - aber er und die Gruppe spielten so lebendig und

frisch, daß die negativen Wertungen bald aus dem Kopf verschwanden.

Natürlich ist Ritenours Musik sehr kommerziell, und er kupfert auch kräftig bei brasilianischen Musikern ab, aber hier merkt man, daß er dabei mit sich identisch bleibt, keine Show abzieht - er sieht genauso freundlich, ehrlich und genießerisch aus, wie seine Musik klingt.

Und er hat genug guten Geschmack, um nicht in die Fallen zu stapfen, die für virtuose Jazzmusiker aufgestellt sind: er zelebriert nicht eitel seine beachtliche Fingerfertigkeit, wie etwa Al Dimeola bei seinem letzten Konzert, und er spielt auch nicht zu sehr in der technischen Trickkiste. Midianlage und Acoustic-Guitar-Synthesizer wurden zwar eingesetzt, aber eher dezent und immer im Dienste der Songs. Ritenour wirkte sehr frei mit all der Virtousität und Technik hinter sich. In seinen Soli scheint er zu singen, konnte sich wenden, wohin es ihm beliebt - und diese lockere, warme Athmosphäre verbreitete auch die Band und übertrug sich auf das Publikum.

Etwa bei jedem zweiten Stück kam der Sänger Philip Perry zum Einsatz, und während Pianist David Witham und Drummer Bob

Wilson zwar solide, aber etwas blaß spielten, stahl Perry mit seinen Blueskoloraturen, dem Stimmvolumen bis in die sehr hohen Lagen und seiner expressiven Mimik, dem Chef fast die Show. Auch mit zwei Zugaben dauerte das Konzert knapp 90 Minuten und war gerade so lang, daß man

sich noch nicht darüber ärgern mußte.

Aber Ritenour spielte fast ununterbrochen und die Bremer Gitarristenszene, die geschloßen angerückt war, hat bestimmt genug gesehen und gehört, um wieder für ein paar Tage so richtig neidisch zu sein.

Willy Taub