Blühender Ost-West-Handel mit geklauten Autos

■ Von West-Berlin aus werden jährlich rund 400 Autos verschoben / Riesengewinne mit geklauten Mittelklasse-Dieseln auf polnischen Schwarzmärkten

Nach monatelanger Ermittlungsarbeit sind jetzt Fahnder des Bundeskriminalamtes und die Berliner Polizei dabei, einen neuen Ring von polnischen Autoschiebern zu zerschlagen. Die bundesweit operierende Bande hatte sich darauf verlegt, fast neuwertige Dieselfahrzeuge der Marken VW und Audi bevorzugt nach Polen zu veschieben, wobei der Schauplatz West-Berlin eine nicht unbedeutende Rolle spielte. Insgeheim waren die Berliner Schadenssachbearbeiter der großen Kfz-Versicherer schon vor Weihnachten von der Polizei vorgewarnt worden. Zu diesem Zeitpunkt sollen an manchen Tagen in Hamburg gleich sechs bis acht Fahrzeuge der genannten Marken geklaut worden sein - speziell VW-Passat in Dieselausführung. Als die Polizei der Hansestadt daraufhin eine Sonderermittlungsgruppe einsetzte, wichen die Täter offensichtlich nach Berlin aus. Schätzungen zufolge schlugen sie bis jetzt insgesamt weit über hundert Mal zu.

Berlin ist jedoch schon seit Jahren eine wichtige Drehscheibe für den organisierten Schmuggel von gestohlenen West-Autos in die östlichen Staatshandelsländer Ungarn und Polen. „Schon aufgrund der Tatsache, daß Leute aus diesen Ostblockländern hierherkommen, ist ein Anstieg der Fälle von Autoverschiebungen dorthin zu verzeichnen“, weiß der Chef des Berliner Kripokommissariats für den sogenannten „Kfz -Sachwertdiebstahl“, Hans-Günther Hildebrandt. Daß die Ganoven sich dabei auf VW und Audi spezialisierten, habe möglicherweise etwas damit zu tun, daß diese Jedermann-Autos in Polen besser als höherwertige Karossen schwarz zu verkaufen seien, so der Versicherungsexperte.

„Ich habe mir das mal angesehen in Warschau“, erzählt sein Kollege von der „Allianz“ Karl-Heinz Besgen. „Da stehen immer so an die 3.000 Fahrzeuge auf einem Riesenplatz, und es werden auch für ältere Wagen sagenhafte Preise erzielt.“ Einfacher Grund: Da die in Polen produzierten Neuwagen - zum Beispiel von Polski-Fiat - zur Auffüllung der chronisch defizitären Devisenstaatskasse gleich exportiert werden, haben polnische Privatleute kaum Chancen, jemals an eine solche Karosse zu gelangen.

Vor diesem Hintergrund nutzten die Schwarzhändler immer wieder ihre Westkontakte, um dem Versorgungsengpaß gewinnbringend durch großangelegte Autoschiebereien über den gar nicht mehr so eisernen Vorhang abzuhelfen. An kriminellem Ideenreichtum mangelt es dabei nicht. So kauften die Mitglieder eines Ende letzten Jahres aufgeflogenen deutsch-polnischen Rings zunächst beschädigte Fahrzeuge und ließen sich die dazugehörigen Papiere aushändigen. Anschließend stahl die Bande typgleiche Autos mit weitgehend identischer Ausstattung und frisierte sie auf die technischen Daten in den Papieren der jeweiligen Schrottautos. Über Kopenhagen wurden die geklauten Kfz dann nach Polen verschoben. Anders gingen zwölf deutsche Kaufleute und Kraftfahrzeughandwerker vor, die im April 1988 von einer Strafkammer des Berliner Landgerichts allesamt zu Haftstrafen, zum Teil mit Bewährung, verurteilt wurden. Sie transportierten etwa 150 Daimler über die DDR nach Ungarn, die zumeist gemietet oder geleast und dann als gestohlen gemeldet worden waren.

Auch in den jetzt aufgedeckten Fällen der Autoschieberei, bei denen man noch „recht wild“ ermittelt, seien die Arbeitsmethoden neu, berichtet der zuständige Kripokommissariatsleiter Hildebrandt. Seinen Angaben zufolge werden in Berlin Jahr für Jahr zusammen rund 400 Autos von organisierten Schiebern entwendet. Dabei sei die Spreemetropole im Verhältnis zum Bundesgebiet noch unterrepräsentiert. In Westdeutschland verschwänden jährlich um die 15.000 Fahrzeuge auf Nimmerwiedersehen. Abnehmerländer für Luxuswagen der Marken Daimler, Porsche und BMW seien nach wie vor in erster Linie die arabischen Staaten oder auch die Vereinigten Staaten. Hildebrandts Trost für die Diebesopfer: Im Gegensatz zu anderen Sektoren des Sachwertdiebstahls können nach der Kriminalstatistik immerhin 60 Prozent der Fälle von Autoschiebereien hinterher aufgeklärt werden.

Bleibt das Problem der Kfz-Versicherungen, im Ausland einwandfrei als gestohlen identifizierte Autos wiederzubeschaffen. In Ländern des Nahen Ostens, aber z.B. in Frankreich oder Polen gilt der Grundsatz des gutgläubigen Erwerbs: der derzeitige Besitzer eines Autos kann sich in der Regel darauf berufen, ein gestohlenes Auto in gutem Glauben an die Angaben des Verkäufers erworben zu haben. Die Bestohlenen braucht das nicht zu interessieren, wenn sie nur eine Teilkaskoversicherung abgeschlossen haben. Die Versicherungen erstatten nach einer Monatsfrist plus einer Karenzzeit für die Nachforschungen entweder den Neupreis ihres abhanden gekommenen Wagens oder blättern den sogenannten Wiederbeschaffungswert hin. Aufgrund solcher Regelungen klettern allerdings pausenlos die Versicherungsprämien in die Höhe.

Thomas Knauf