Ein Beiruter General auf verlorenem Posten

■ Wie der Ostbeiruter Armeechef Aoun versucht, die moslemischen Milizen zu entmachten / Von Petra Groll

Seit letzten Herbst ist die libanesische Armee gespalten. Der christlich-maronitische Militärchef Aoun, der bisher höchstens den östlichen Teil Beiruts beherrscht, versucht seit einigen Wochen, die Ministaaten der moslemischen Milizen finanziell auszutrocknen. Und in Beirut fliehen Hunderttausende vor dem ständigen Artilleriebeschuß. Die Diplomatie bemüht sich mal wieder um einen Waffenstillstand.

Mehrere hunderttausend Bewohner der libanesischen Hauptstadt Beirut - niemand weiß genau, wie viele - sind in den vergangenen Tagen geflüchtet, wohin sie nur gelangen konnten. Ohne jegliche Unterstützung nationaler oder internationaler Organisationen sind sie untergekrochen, wo sie sich vor Dauerbeschuß und anhaltenden Artillerieschlachten sicher fühlen können. Wer noch in Beirut aushält, muß sich von Lebensmittel- und Trinkwasserknappheit bedroht sehen, in Kellergeschossen und notdürftig eingerichteten Schutzräumen verbergen und wird nur noch zwei Stunden täglich mit Strom versorgt.

Die seit dem 8. März dauernden Auseinandersetzungen zwischen der Armee des christlichen Militärmachthabers General Michel Aoun und den Milizen der moslemischen Opposition sowie deren syrischen Unterstützern haben bisher nach Polizeiangaben etwa 140 Menschen das Leben gekostet, mehr als 600 sollen verletzt worden sein. Am Wochenende richtete der UNO-Sicherheitsrat einen dringenden Waffenstillstandsappell an alle kriegsführenden Parteien. Das war bereits der zweite Appell dieser Art, seit das Land nach den gescheiterten Präsidentschaftswahlen vom vergangenen September auch noch in eine Verfassungskrise geraten ist.

Auch die Europäische Gemeinschaft rief zum Waffenstillstand auf und zeigte sich „außerordentlich besorgt“ über die Lage in Beirut. EG und UNO unterstützten in ihren Erklärungen die Initiative der Arabischen Liga, die unter Federführung des kuwaitischen Außenministers Sabah el-Ahmed seit Jahresanfang um eine politische Lösung und baldige Präsidentschaftswahlen im Libanon bemüht ist. Mit neuerlichen Vorschlägen, wenigstens umgehend einen Waffenstillstand in Beirut herbeizuführen, reisten Sheikh Sabah und der Generalsekretär der Arabischen Liga, Chedly Kliby, am letzten Dienstag in die syrische Hauptstadt Damaskus. Alle kriegsführenden Parteien sollen demnach die Einhaltung des Waffenstillstands garantieren, der von Militärbeobachtern aus sechs Mitgliedsstaaten der Arabischen Liga beaufsichtigt werden soll.

Der Chef der in Ost-Beirut herrschenden christlichen Militärregierung General Aoun soll außerdem die Seeblockade gegen seine Gegner im moslemischen Oppositionslager aufheben, die Anfang März die derzeitige Katastrophe ausgelöst hatte (siehe unten). Wenige Tage nachdem Aoun, der gerne den ganzen Libanon unter seine Kontrolle bekommen möchte, die „Hafenkrise“ heraufbeschworen hatte und damit das Land in eine neue Runde des fast 14 Jahre andauernden Bürgerkriegs gezerrt hatte, gab der häufig als „libanesischer Napoleon“ Verspottete den Ereignissen einen neuen Namen. Aoun sprach vom „Befreiungskrieg“ gegen die syrische Besatzungsarmee, die mit ihren 35- bis 45.000 Mann rund zwei Drittel des Territoriums kontrolliert.

Der ideologische Schulterschluß mit der rechtsgerichteten, mit Israel verbündeten Christenmiliz „Forces Libanaises“ (FL) war vollzogen, vorangegangene Auseinandersetzungen zwischen Aouns Armee und der FL um die militärische Herrschaft im „Christenland“ vergessen. Aoun hatte auf die Unterstützung der USA gesetzt, mit Versprechungen gelockt, den internationalen Terrorismus und Drogenhandel zu bändigen, wenn er denn erst mal die Häfen des Libanons unter Kontrolle habe (siehe Kasten unten). Statt dessen hatten US -Offizielle nach den ersten wüsten Gefechten ausgerechnet der Westbeiruter Bevölkerung ihr Beileid ausgesprochen und unmißverständlich klargemacht, daß sie im von Aoun geforderten Abzug der syrischen Truppen aus dem Libanon derzeit keine Lösung sehen. General Aoun entschloß sich zum einsamen Kampf, „und wenn Beirut dabei zerstört wird“, wie er Ende März bei einer Pressekonferenz ankündigte.