„1936 konnten wir mit offenen Augen träumen“

Der spanische Bürgerkrieg ging vor 50 Jahren zu Ende / Doch die „zwei Spanien“ gibt es immer noch: Spuren der Diktatur und die Hoffnungen der Linken sind geblieben / Der Anarchist Eduardo de Guzman, selbst Kämpfer im Bürgerkrieg, erinnert sich / Die Jugend zeigt nur wenig Interesse an der Geschichte  ■  Aus Madrid Antje Vogel

An jenem denkwürdigen 28.März begab sich Eduardo de Guzman wie jeden Tag zur Arbeit in die Redaktion der Tageszeitung 'Castilla Libre‘ - „Freies Kastilien“, dem Organ der anarchistischen Gewerkschaft CNT. Es sollte die letzte Ausgabe der Zeitung werden. Denn bereits mittags trat der 30jährige Journalist eine Reise an, die länger dauern und unerfreulich enden sollte.

Es ist 50 Jahre her, seit das „rote Madrid“ nach Monaten der Belagerung durch Francos Truppen, durch Hunger, Kälte, Bombardierung und heftige Auseinandersetzungen in den Reihen der Republikaner zermürbt, kampflos in die Hände der Faschisten fiel. Als General Francisco Franco drei Tage später, am 1.April 1939, offiziell den Bürgerkrieg als beendet erklärte, befand sich Eduardo de Guzman bereits im Hafen von Alicante und wartete mit Tausenden Anarchisten, Kommunisten, Sozialisten und anderen Besiegten, daß ein Schiff sie aufnähme und vor der Rache der „Nationalen“ in Sicherheit brächte. Doch statt dessen erschienen auf dem Landweg faschistische italienische Truppen und machten sich daran, die Wartenden in Konzentrationslager zu transportieren. 300 bis 400 Republikaner, so schätzt Eduardo de Guzman, nahmen sich an jenem Morgen des 1.April im Hafen von Alicante das Leben. Er selbst sollte den Weg durch verschiedene Konzentrationslager nehmen, erleben, wie Tausende seiner Genossen von Francos Soldaten erschossen wurden. Guzman selber wurde im Jahre 1940 zum Tode verurteilt, gehörte aber zu den wenigen, die begnadigt wurden und konnte die Gefangenschaft 1948 im Rahmen eines allgemeinen Gnadenerlasses verlassen.

Seine Tätigkeit der folgenden Jahre läßt sich heute dem Bücherschrank seiner Madrider Wohnung entnehmen: 450 Krimis und Abenteuerromane schrieb der Anarchist de Guzman, um sein Leben zu fristen. Als die stärkste Repression nachließ, kamen noch zahlreiche Werke über den spanischen Bürgerkrieg hinzu. „Wir reden jeden Tag über den Krieg“, sagt seine Frau Carmen. „Wenn ich mit meinen Nachbarinnen rede, egal wo wir anfangen, wir enden immer beim Krieg.“

Für viele jungen Leute sind die Erfahrungen des Ehepaars Guzman schon zu Legenden geworden. Jeder hat einen Opa, der damals auf einer der beiden Seiten gekämpft hat. „Mein Großvater ist von den Nationalen umgebracht worden“, erzählt der Wirtschaftsstudent Felix Gonzalez. Im Lande der Sozialisten geniert er sich, Konservativer zu sein. Mit Hilfe des Großvaters grenzt er sich von den „schlimmen“ Rechten ab. Doch ansonsten hat er mit seinem Großvater wenig im Sinn.

Auch die Buchhändlerin Trinidad Gomez, 32 Jahre alt, die mit den Sozialisten sympathisiert, kann aus der jüngeren Geschichte ihres Landes keine Lehren ziehen. „Das ist längst vorbei“, sagt sie. „Meine Eltern erzählen manchmal über das, was sie als Kinder während des Krieges mitgemacht haben. Aber das hat doch mit mir nichts mehr zu tun.“ Das ist in Wirklichkeit so erstaunlich nicht. Denn auf den spanischen Bürgerkrieg, in dem um Wünsche gekämpft wurde, die heute noch in den Köpfen der westeuropäischen Linken als Traum herumgeistern, folgte eine fast 40 Jahre dauernde Diktatur, die sich redliche Mühe gab, die Erinnerung an den kurzen Sommer der Anarchie auszumerzen. Kirchliche Moral und die martialischen Werte des „Ewigen Spanien“, darauf fußte die Erziehung.

Als 1975 Franco stirbt, nimmt die politische Geschichte Spaniens eine erneute Wende. Langsam zunächst, dann - mit dem überwältigenden Wahlsieg der Sozialisten 1982 - immer schneller. Die rigide Sexualmoral der Frankisten korrodiert in einem Land, das sich zunehmend an den westeuropäischen Nachbarn orientiert. Im Zeichen eines unerwarteten Wirtschaftswachstums ersetzen die Spanier die alten Werte durch Konsum. Die Kirche, Stützpfeiler der Diktatur, spürt die Auswirkungen: Während die Konsumgüterindustrie riesige Gewinne verzeichnet, sinken ihre Einnahmen. Irgendwo muß man schließlich sparen.

Es scheint, als sei das Trauma des Bürgerkriegs, die Zeit der „zwei Spanien“ vorbei. „Die Zeit heilt alles“, schreibt Ismael Fuentes in seinem Leitartikel zum Thema 50.Jahrestag des Endes des spanischen Bürgerkriegs in der Zeitung 'Diario 16‘. „Die Wunden des Bürgerkriegs, die lange Zeit offen waren, sind heute trockene Narben auf der glatten, jungen Haut der Gesellschaft, die wir genießen. Sie sind Geschichte.“ Das stimmt. Der Anarchist de Guzman, immer noch Anarchist, zollt den sozialdemokratischen Sozialisten seines Landes Anerkennung. Ein Putschversuch wie der des Leutnants Tejero im Jahre 1981 wäre heute undenkbar, meint er, „dank der Politik der Sozialisten“.

Dennoch haben der Bürgerkrieg und vor allem die darauffolgende Diktatur mehr Spuren hinterlassen, als viele wahrhaben wollen. „Im Prinzip gibt es die zwei Spanien noch“, versichert Eduardo de Guzman. „Das sieht man an dem Druck, den die Sozialistische Partei bekommt, wenn die Regierung versucht, mit der ETA zu verhandeln. Aber die Jungen denken nicht mehr so.“

Bitterkeit gibt es viel auf seiten der Verlierer. Trauer um die, die sie verloren haben, Wut über das, was ihnen angetan wurde. Aber auch Stolz. „Wir zumindest“, sagt der 80jährige Anarchist, „konnten mit offenen Augen träumen.“