Özal trickst sich weiter durch

■ Kabinettsumbildung und Kulissengeflüster bestimmen türkische Innenpolitik nach Niederlage der Regierungspartei bei Kommunalwahlen / Bevölkerung hat die Nase voll vom rapiden Verfall der Kaufkraft

Istanbul (taz) - Eine Woche nach dem für die türkische Regierung verheerenden Ergebnis der landesweiten Kommunalwahlen war es wieder soweit: Monoton verlas der Nachrichtensprecher die lange Liste der Preiserhöhungen für die staatlich kontrollierten Grundnahrungsmittel. Der Vorgang ist mittlerweile zum Ritual geworden. Seit Özal im November 1983 in einem durch die Militärs reglementierten Wahlkampf Regierungschef der Türkei wurde, werden die Preise vor den Wahlen künstlich stabilisiert, um unmittelbar danach um so drastischer emporzuschnellen.

Die Bevölkerung hat die Nase voll. Nicht die anhaltenden Menschenrechtsverletzungen im Lande oder die gravierenden Einschränkungen der politischen Freiheiten bewegt das Gros der Wähler, sondern der rapide Verfall der Kaufkraft für 80 Prozent der Bevölkerung. Unterdessen hat sich eine kleine Clique von „Kriegsgewinnlern“ in den letzten neun Jahren maßlos bereichert. Daß der gesamte Özal-Clan zu dieser Clique gehört, haben die Wähler dem Regierungschef diesmal erkennbar übel genommen. „Nie hat es in der Türkei einen Regierungschef gegeben, der sich so unverschämt und offensichtlich selbst bedient“, ist der Tenor in fast allen Gesprächen im Umfeld der Wahlen.

Zumindestens vordergründig hat Özal dieser Kritik bei seiner Regierungsumbildung, die mit den Preiserhöhungen verkündet wurde, Rechnung getragen. Bruder, Vettern, Ehegattin und sonstige Verwandte oder enge persönliche Freunde mußten ihre Kabinettssitze räumen. 15 von 22 Ministern wurden ausgewechselt, darunter Erziehungsminister Hasan Celal Güzel, Wortführer der islamischen Fundamentalisten in Özals ANAP.

Die in den 70er Jahren immer unter vier Prozent rangierenden Fundamentalisten haben bei den Kommunalwahlen im März fast zehn Prozent erreicht und stellen in fünf Städten den Bürgermeister. Özals ANAP ist dagegen von über 40 Prozent 1983 auf jetzt 22 Prozent zusammengeschrumpft und damit nur noch drittstärkste Partei des Landes. Stärkste Partei wurde mit 28 Prozent die Sozialdemokratische Volkspartei (SHP), ein Ergebnis, das ihr die Kontrolle über die drei türkischen Millionenstädte Istanbul, Ankara und Izmir einbrachte.

Zweitstärkste Gruppe ist jetzt Demirels Partei des rechten Weges, Özals Intimfeind, den die Militärs 1980 weggeputscht hatten. Ideologisch sind Özals ANAP und Demirels DYP kaum auseinanderzuhalten, entscheidend ist die unterschiedliche Klientelstruktur.

Im November dieses Jahres geht die Amtszeit des Exputschisten und jetzigen Staatspräsidenten Kenan Evren zu Ende. Dessen frühere Überlegungen, zu einer erneuten Kandidatur anzutreten, scheinen ad acta gelegt. Damit eröffnet sich eine neue Möglichkeit, trotz der persönlichen erbitterten Rivalität zwischen Özal und Demirel, zu einem Arrangement der beiden Rechtsparteien zu kommen. Wenn Demirel Özals Ambitionen auf die Evren-Nachfolge unterstützt, würde dieser wohl im Gegenzug Demirel erneut zum Job des Ministerpräsidenten verhelfen. Da die Militärs sich zur Zeit auffallend zurückhalten, scheint einer solchen Operation von dieser Seite nichts im Wege zu stehen. Auf der Strecke blieben die Sozialdemokraten und der größte Teil der ausgepowerten türkischen Bevölkerung. Denn eine Änderung der Wirtschaftspolitik wäre von Demirel nicht zu erwarten. Schließlich hieß der Wirtschaftsminister in dessen letztem Kabinett vor dem Putsch Turgut Özal.

JG