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PRINZen für den modernen Spießer

■ PRINZ, die bundesweite Stadtzeitung in Großunternehmerhand beginnt in Hamburg seinen Raubzug durch den Stadtblätterwald Der Nachfolger des maroden TANGO hat für die nächsten Jahre auch Bremen im Visier

Nun ist es endlich heraus, das überregionale Stadtzeitungsprojekt in Großverlegerhand (75% Jahreszeiten -Verlag), der gefräßige kleine PRINZ, die Zeitung, die in allen Ballungsgebieten der Republik den beträchtlichen Werberahm des Stadtzeitungssektors abschöpfen will und deren Filiale das BREMER BLATT nicht hat werden wollen, liegt nun an den Hamburger Kiosken und zeigt uns interessierten Lesern, was das (bisher) zu niedrige Gebot der (bisher) verhinderten BLATT-Aufkäufer uns (bisher) vorenthält. Das Pokerspiel um den bremischen Anteil am großen Geschäft ist noch im Gange, die Karten sind hinter den hochgehaltenen Handflächen versteckt.

Wird die PRINZengarde versuchen, in Bremen eine ganz neue Zeitungsredaktion aus dem Ärmel zu ziehen oder doch mehr für die Lizenz des BLATTs bieten? lautet die bange Bluff-Frage, wobei als sichere Prämisse gilt, daß es eine Bremer PRINZ -Ausgabe geben wird.

Das vorliegende PRINZ-Erstlingsheft aus Hamburg ist die konsequent betriebene WIENERisierung der Stadtzeitungen, von vorne bis hinten bunt, prallvoll mit Produktinformation für die jungen Menschen im Vor-TEMPO-Alter, die noch nicht über ein Netzflugticket der Lufthansa verfügen und sich deshalb für den Veranstaltungskalender der eigenen Stadt interessieren.

Kaufen: Schallplatten, Filme, Kaufen: Linsensalat mit Trauben zu Lachsfilet mit Wildreis, Kaufen: Mode, Madonna, Kaufen: Alles was das Leben in der Großstadt so wohltuend in den Puls der Zeit eingliedert, Kaufen. „Ein orientierendes Medium als kritische Begleitung für den selbstbewußten Konsumenten„ so nennt das Jochen Wüllner, zentraler Koordinator und oberster Promoter des bundeseinheitlich koordinierten Stadtzeitungsprojektes.

Dabei sieht Wüllner die Perspektiven des PRINZen in nur rosigem Licht. Die zentrale Koordination beziehe sich nur „auf bestimmte Standards des Lay-Outs, klare Gliederung, Verständlichkeit der Artikel„ und den Austausch „von Storys von hoher und höchster Recherche-Intensität“. Schließlich gestehe der Verlag „die volle redaktionelle und verlegerische Leitung des Projektes den jeweiligen Lokal -Redaktionen und dem angestammten Prinz-Team zu.„ Ein schönes Argument, mit dem Wüllner nie gehaltene Widerreden als vorsintflutliche Askesehuberei entlarvt.

Dabei ist die Offenheit des Geldgebers kein Wunder: einer Redaktion, die so brav die gängigen Waren präsentiert, im optischen Stil der neuen Zeit hübsch aufgemacht, so daß die anvisierten Kunden nicht zu bangen brauchen, ihre Produkte in schmuddeliger oder widerborstiger Umge

bung wiederzufinden, einer solchen Redaktion braucht man keine Schranken zu setzen, sie ist schon von sich aus beschränkt.

Ein bißchen kritisch hier und da, ein wenig sozialdemokratisch dort, wir sind eben kritische Konsumenten, und was wir wollen, sind die besseren Kohls, die besseren Öltanker, die besseren Kaschmirmäntel, die bessere Polizei, alles soll gern besser sein, aber sonst wollen wir eigentlich nichts. Nur Mehr: mehr Fun, mehr bunt, mehr Mehr, so sagen es die Aufkleber mit denen der kritische Konsument sein Einverständnis mit dem neuen Produkt signalisieren kann. Der moderne Spießer buchstabiert sich M -E-H-R und weiß nicht wovon.

Der altmodische Spießer gruppiert sich derweil um solche betulichen Zeitschriften wie das BREMER BLATT, die an sich genau das sein wollen, was der PRINZ, „Stadtillustrierte der dritten Generation“, ist. Nur: Es klappt nicht, es klappt optisch nicht, schon weil man sich nicht die opulente Farbausstattung leisten kann, die ein großes Verlagshaus mal eben deficit-spendet. Es klappt optisch auch nicht, weil die Stadtzeitungen zu 90% aus Lay-Out-Routine bestehen und sie sich trotz aller Versuche, die Wirtschaftlichkeit der Stadtzeitungen durch Kooperation aufzubessern, nicht den Apparat leisten können, mit dem PRINZ zu plazieren ver

sucht wird. Inhaltlich klappt es nicht, weil es in der Tat verlegerisch teurer ist, immer gleichen Artikel über die neuen Filme, Bücher, Accessoires und Popstars für jede einzelne Zeitung neu schreiben zu lassen, und weil die zentralisierte Zeitung mit lukrativen Honoraren versierte Schreiber an sich binden kann. Es klappt aber vor allen Dingen deshalb nicht, weil die Stadtzeitungen mangels ernsthafter Konkurrenten sich über die Jahre ein dickes Fell bräsiger Unbeweglichkeit zugelegt haben, das ihnen eigene Initiativen schwermacht. Nun werden sie angesichts der neuen Konkurrenz die Tradition, in der sie entstanden sind, und ihren drohenden Ausverkauf durch die neuen Stadtblätterinunternehmerhand beschwören, als hätten sie nicht seit Jahren nur noch den selben oberflächlich -zynischen Kritizismus gepflegt, der den PRINZen ebenso unerträglich macht wie seinen großen Bruder TEMPO. ste

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