Unbezahlbare Laster

■ Corinto by night: öffentliches Leben vor dem Fernseher / Kino, Bier und Sex nur für Reiche / Prostitution als umsatzstarker Wirtschaftsfaktor

Wenn in der Bremer Kleinstadt die Bürgersteige hochgeklappt werden, geht das Leben in der Metropole Corinto erst richtig los. An die 1000 Bars und Bordelle soll es vor der Revolution in Nicaraguas größter Hafenstadt gegeben haben ein Etablissement auf 30 Einwohner. Heute sind es nur noch 30 Bars und keine lockt die Seemänner mit Rotlicht zum Geschlechtsverkehr. Trotzdem ist Prostitution noch immer der stärkste Wirtschaftsfaktor - zumindest was den Umsatz in harten Dollars angeht. Den - vorwiegend 13 -19jährigen Pro

stituierten bringt die Arbeit einer Nacht oft mehr ein, als eine Arbeiterin in der Fischfabrik im Monat verdient.

Deshalb beschränkt sich die Kundschaft der Prostituierten auf Seeleute und die wenigen Männer Corintos, die Dollars besitzen. Auch das Bier in der Bar ist für Bezieher einheimischer Einkommen unerschwinglich: mit 3500 Cordobas kostet es ein Viertel des Tageslohnes eines Hafenarbeiters. Selbst der Besuch des letzten Pornos im örtlichen Kino, über dessen blasse Leinwand auch mal die riesigen Beine einer Küchen

schabe wandern, die sich in den Projektor verirrt hat, wurde mit der Inflation zum unerschwinglichen Luxus.

Corintos Abendprogramm wird heute von den beiden Programmen des sandinistischen Fernsehens bestritten. Sobald die Tropensonne blutrot im Pazifik versunken ist, ballert es aus Western-Revolvern durch Corintos Gassen. Nur die quietschenden Reifen von Miami Vice halten kräftig dagegen. Die stolzen Besitzer eines eigenen Fernsehers wiegen sich dazu sanft in ihren Schaukelstühlen. Durch die offe

nen Türen und Fenster strömen frische Luft und die Blicke der Passanten herein. Großes Publikum lockt das gute Dutzend Farbfernseher allabendlich vor die Veranda der reicheren BewohnerInnen Corintos.

Erst die sandinistische Nationalhymne zum Programmschluß nach dem Spielfilm beendet das öffentliche Leben Corintos. Dann funkelt nur noch der riesige Sternenhimmel über stillen Straßen und in den kleinen Pensionen verspritzen Dollarbesitzer stöhnend ihren Samen.

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