piwik no script img

„Wir sind Ramsteiner und keine Air-Baser“

Tribunal wider das Vergessen soll ein Jahr später an die Toten der Ramstein-Katastrophe erinnern und die Verantwortlichen anklagen / Unter Augenzeugen kursieren Zweifel an Zahl der Opfer / Mißtrauen gegen offizielle Version  ■  Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Ramstein/Frankfurt (taz) - „Mer schnappe nimmer“, meinte die Sprecherin der gleichnamigen Bürgerinitiative aus Ramstein, Waldtraut Delaber, die am vergangegen Freitag - zusammen mit etwa dreißig anderen VertreterInnen diverser Projektgruppen und Parteien - in der Ramsteiner „Reiterklause“ schwere Vorwürfe vor allem gegen die US-Army richtete. „Mer schnappe nimmer“ - das heißt auf gut pfälzerisch, daß die Menschen in Ramstein nicht mehr zu allem „Ja und Amen“ sagen wollen, was ihnen von den „Großkopfeten“ in Mainz, in Bonn und in Washington als „verteidigungspolitische Notwendigkeit“ angedient wurde und wird.

„Wir sind Ramsteiner und keine Air-Baser“, erklärten auf diesem „Treffen wider das Vergessen“ auch die Vertreter der Grünen aus dem Ramsteiner Gemeindeparlament, die seit Jahren auf verlorenem Posten gegen den größten US-Militärflughafen in Europa und seine „wahnwitzigen Flugtage“ kämpfen. Doch die Katastrophe von Ramstein, bei der am 28.8. 1988 drei Maschinen der „Frecce Tricolori“ über den Köpfen von rund 300.000 ZuschauerInnen kollidierten und eine Airmacchi MB339A als brennender Feuerball in die Menge der Schaulustigen raste, hat auch diejenigen schockiert, die den inszenierten Kriegsspielen der Air Force bislang unkritisch gegenüberstanden: „Die Betroffenheit nach der Katastrophe ist nach wie vor groß“, meinte eine andere Vertreterin der Bürgerinitiative, „trotz der Abhängigkeit der Ramsteiner von den US-Amerikanern.“ Selbst unter Offiziersfrauen auf der Air-Base mache sich seit dem Inferno eine „kritische Stimmung“ breit.

Doch das aktive Engagement in der Friedensbewegung blieb bislang die Ausnahme. Die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes beim einzigen großen Arbeitgeber der gesamten Region sowie die Befürchtungen, die solventen Mieter aus den Reihen der Army zu verlieren oder die meist nur von Militärangehörigen frequentierten Gaststätten und Läden schließen zu müssen, zwingt die Menschen auf dem „Flugzeugträger Pfalz“ zum Arrangement mit der US-Army. Die politisch Verantwortlichen auf der Hardthöhe und im Pentagon nutzen diese Existenzängste gezielt für ihre Pläne aus: Nur Monate nach der Katastrophe, die - nach offiziellen Angaben

-70 Menschen das Leben kostete, meldeten die US-Amerikaner neuen Landbedarf in Ramstein an. Die vom US-Kongreß als „geheim“ apostrophierte Vorlage beinhalte die Pläne für den Bau einer neuen Landebahn auf der Air Base. Das jedenfalls wollen die Grünen im Landtag von Rheinland-Pfalz herausgefunden haben, die jetzt eine entsprechende Anfrage an die Landesregierung richteten.

Tribunal ein Jahr danach

Die für die Katastrophe von Ramstein politisch Verantwortlichen setzten noch auf eine andere Eigenschaft der Menschen: den Hang zur Verdrängung schrecklicher Ereignisse. Doch genau dagegen wollen die in der „Reiterklause“ in Ramstein Versammelten ankämpfen. Auf einem Tribunal - fast genau ein Jahr nach dem flammenden Inferno auf der Air Base - sollen am 26.August 1989 die eigentlich verantwortlichen Militärs und Politiker angeklagt und verurteilt werden. Die Initiativen- und ParteienvertreterInnen aus Rheinland-Pfalz und aus dem Saarland wollen Überlebende der Katastrophe und Augenzeugen als „Gerichtszeugen“ nach Ramstein laden. Die Jury soll aus Mitgliedern der Friedensbewegung bestehen. Sachverständige und Politiker von SPD, DKP und Grünen werden dann das Szenario des Tribunals ergänzen - so die Vorstellungen der Initiatoren um Jürgen Berthold von den Grünen in St.Ingbert.

Auf dem Vorbereitungstreffen in Ramstein berichtete Berthold von den Schwierigkeiten der Kontaktaufnahme mit den Überlebenden der Katastrophe oder mit Angehörigen der Opfer. Selbst die Betroffenen, die grundsätzlich ihre Teilnahmebereitschaft zum Tribunal erklärten, hätten mit einer „psychologischen Sperre“ zu kämpfen. Berthold: „Nach all den schrecklichen Erlebnissen der direkt Betroffenen fällt es diesen Menschen selbstverständlich schwer, genau ein Jahr danach an den Ort des grauenhaften Geschehens zurückzukehren.“

Während der Debatte um die Vorbereitung des Tribunals wurden wiederholt Zweifel an der offiziellen Zahl der Todesopfer laut. Daß die US-Amerikaner die Zahl ihrer Toten mit „nur“ vier angegeben haben, erscheint vielen der damals auf der Air-Base anwesenden Menschen „mehr als unwahrscheinlich“. Schließlich hätten die US-Amerikaner die Hamburger- und Doughnut-Stände bewirtschaftet, die von dem Feuerball überrollt wurden. Das verbreitete Mißtrauen gegen die offiziellen Versionen wuchs noch, als in Ramstein durchsickerte, daß Film- und Videoaufnahmen von Privatleuten beschlagnahmt und die deutsche Schutzpolizei sowie die örtlichen Feuerwehren auf die offiziellen Verlautbarungen eingeschworen worden sein sollen.

Die in Ramstein versammelten KriegsgegnerInnen appellieren in diesem Zusammenhang an alle Betroffenen und Augenzeugen, mit der am Freitag gegründeten Initiative: „Wider das Vergessen - Aktionsgemeinschaft gegen die US-Air-Base in Ramstein“ Kontakt aufzunehmen (Jürgen Berthold/Tel.: 06894/ 88044). Das nächste Vorbereitungstreffen findet am 24.Mai in der „Reiterklause“ in Ramstein statt.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen