In der Schußlinie: Perus Frauenbewegung

■ In Lima wurde eine Vertreterin der Bewegung der Bergarbeiterfrauen ermordet / Appell „an alle Frauen der Welt“ /Die „Hausfrauenkomitees“ der Bergarbeiterfrauen arbeiten mit der Gewerkschaft zusammen, kämpfen aber auch für ihre eigenen Forderungen

Bis jetzt dachte ich immer, daß sie wenigstens das Leben der Frauen respektieren würden.“ Ester, Bergarbeiterfrau und seit einigen Jahren in der Bewegung der „Hausfrauen -Komitees“ aktiv, schüttelt den Kopf. In dem kleinen Büro der Gruppe „Filomena“ im Zentrum Limas herrscht hektischer Betrieb, Vertreterinnen verschiedenster peruanischer Frauengruppen gehen ein und aus, diskutieren und beraten sich. Es gilt, Konsequenzen zu ziehen aus einem politischen Mord an einer Vertreterin der Frauenbewegung, die in der Bewegung der Bergarbeiterfrauen gearbeitet hat.

Ester resümiert die Geschichte dieser Bewegung, die zum Teil auch ihre eigene persönliche Geschichte ist. Ihre ersten politischen Erfahrungen machte sie im Juli 1982. Damals brachen die Familien der Minensiedlung Canaria in der Region Ayacucho zu ihrem ersten Protestmarsch in die Hauptstadt Lima auf. Solche Protestmärsche nach Lima sind eine feste Einrichtung in der Bewegung der peruanischen Mineros. In den Streikphasen verlassen die Bergarbeiterfamilien ihre in den eisigen Höhen der Kordilleren, meist über 4.000 Meter hoch gelegenen Siedlungen, um ihre Forderungen nach Verbesserung der unmenschlichen Arbeits- und Lebensbedingungen in den Minen öffentlich zu machen. Sie ziehen in die Hauptstadt, damit sie nicht in ihren Siedlungen - abgeschnitten von der Öffentlichkeit - ungeschützt dem Terror des Militärs und der Todesschwadrone ausgeliefert sind.

Der Marsch der Leute von Canaria dauerte 18 Monate. Mehr als 50 Menschen kamen dabei ums Leben - einige wurden von Militär und Polizei erschossen, die meisten starben an Hunger, Krankheit oder an Erschöpfung. Eine davon war Filomena Tomaira Pacsi. Sie starb, knapp 19 Jahre alt, an einer Geburt.

Während des zweiten Protestmarsches der Familien von Canaria im Jahr 1985 schloß sich Ester einer Gruppe namens „Filomena Tomaira Pacsi“ an. Die Gruppe war 1984 gegründet worden, um die „Hausfrauenkomitees“ der Bergarbeiterfrauen organisatorisch, politisch und moralisch zu unterstützen. Fast alle Bergarbeiterfrauen sind Hausfrauen, da es in den Minen für sie so gut wie keine Arbeitsmöglichkeiten gibt. In den Komitees wird dafür Sorge getragen, daß die Ehefrauen der Bergarbeiter nicht nur an den Protestaktionen teilnehmen, sondern auch ihre eigenen Forderungen stellen.

Am 13.Februar diesen Jahres, nach monatelangen harten Streiks und Protestmärschen der Bergarbeiterfamilien in ganz Peru, in denen vor allem um das Recht auf kollektive Tarifverhandlungen gekämpft wurde, erfuhr die Bewegung der Bergarbeiterfrauen eine neue Dimension von Gewalt. An diesem Tag fielen in Lima zwei Personen einem Mordanschlag zum Opfer: Saul Cantoral und Consuelo Garcia. Saul Cantoral war Generalsekretär der Bergarbeitergewerkschaft, Consuelo Garcia Direktorin der Gruppe Filomena. Beide waren von der Todesschwadron „Comando Rodrigo Franco“ ermordet worden. Für die peruanische Frauenbewegung ist es eine neue und überaus bedrohliche Erfahrung, in den „schmutzigen Krieg“ der Militärs und der Todesschwadronen gegen die Basisorganisationen Perus hineingezogen zu werden. Internationale Öffentlichkeit notwendig

„Verteidigen wir die Frauenorganisationen in Peru“, appelliert die Gruppe Filomena in einem „Kommunique an alle Frauen der Welt“, das in der peruanischen Frauenzeitschrift 'mujer y sociedad‘ erschien. „An alle Frauen der Welt“, weil die Bewegung der Bergarbeiterfrauen nicht wie die Gewerkschaft der Mineros in internationale Verbände eingebunden ist, die einen gewissen Schutz bieten können. „An alle Frauen der Welt“, weil eine internationale Öffentlichkeit von Frauen wichtig sein kann, um sich gegen staatlich organisierten Terror zu wehren.

Seit vielen Jahren spielen die Hausfrauenkomitees in den Streiks und Protestmärschen der Mineros eine bedeutende, eigentlich die zentrale Rolle: Sie versorgen die Kranken und Verletzten, kochen und organisieren für die Zeit des Aufenthalts in Lima Schulunterricht für die Kinder. Vor allem aber obliegt den Frauen die Aufgabe, die Familien in der Zeit der Protestaktionen mit Lebensmitteln zu versorgen. Sie sind es, die während des Marsches die solidarische Unterstützung durch Bauern und durch Frauengruppen in Lima organisieren. Unter Lebensgefahr

Um ihre Männer vor Verhaftungen und Angriffen durch Polizei und Militärs zu schützen, setzen die Frauen oft ihr Leben aufs Spiel. In der Annahme, daß unbewaffnete Frauen nicht ohne weiteres erschossen werden, marschieren sie bei den Demonstrationen stets vorneweg. Jetzt aber greifen Militär und Todesschwadronen und zum Teil die Polizei auch die Aktivistinnen der Frauenbewegung an. Die Bergarbeiterfrauen, die sich heute wie seit vielen Jahren schützend vor ihre streikenden Männer stellen, begeben sich in höchste Lebensgefahr. Immer häufiger wurden in den letzten Jahren Frauen verletzt; im Juli vergangenen Jahres wurde eine Bergarbeiterfrau während einer Straßenblockade von der Polizei erschossen.

Trotzdem kamen die gewerkschaftlich organisierten Ehemänner nicht auf die Idee, die Frauen an der Diskussion über die Foderungen und Kampfstrategien zu beteiligen. Oft kannten die Frauen nicht einmal den Forderungskatalog, für den gekämpft wurde. Das hat sich inzwischen geändert. Die Hausfrauen-Komitees, die sich auf nationaler Ebene in einer „Comision Organisadora“ zusammengeschlossen haben, drängen auf gleichberechtigte Mitsprache.

„Bis heute haben wir Probleme mit der Gewerkschaft“, erzählt Erlinda, die aus der Siedlung Julcani in Huancavelica kommt und der „Comision Organisadora“ angehört. „Für die sind wir nur gut für die Kämpfe, für die Streiks, für die Protestmärsche. Die interessieren sich nur dafür, daß wir vorneweg marschieren und kochen. Wir haben inzwischen gemerkt, daß wir nicht nur dazu da sind, unsere Männer zu verteidigen. Wir haben auch ein Recht auf unsere eigenen Forderungen.“

Mit ihren Forderungen setzen die Frauen einen wichtigen Kontrapunkt im stark auf die Lohnentwicklung fixierten Forderungskatalog der Gewerkschaft. „Die Gewerkschaften vergessen ja meistens die Bedürfnisse der Frauen und der Kinder“, so Erlinda, „sie kümmern sich vor allem um die Löhne, aber nicht um die Lebensbedingungen, Wohnverhältnisse, Gesundheit und die Ausbildung ihrer Kinder.“ Von Minengesellschaften abhängig

In den Siedlungen sind alle sozialen Einrichtungen von der Minengesellschaft abhängig: die Schule, das Krankenhaus, der Markt, auch die Wohnungen werden von der Minengesellschaft gestellt. Wohnungen, konkret: mit Wellblech abgedeckte Baracken, in denen die Bergarbeiterfamilien in 4.000 bis 5.000 Meter Höhe der Kälte trotzen müssen. „Sie geben dir ein vier mal vier Meter großes Zimmer“, erzählt Erlinda, „für die ganze Familie. Das ist unsere Küche, unser Wohnzimmer, unser Schlafzimmer, alles. Eine Toilette teilen wir uns mit mehreren anderen Familien. Es gibt kein warmes Wasser, nicht einmal eine Heizung, obwohl unsere Siedlung 4.200 Meter hoch liegt. Manchmal organisieren wir uns einen elektrischen Ofen, aber wenn die Leute von der Minengesellschaft das merken, kommen sie in unsere Wohnung und nehmen ihn uns weg.“

„In meiner Siedlung gibt es zwar ein Krankenhaus, aber von den Ärzten werden wir schlecht behandelt. Wir Frauen haben immer Angst, während der Schwangerschaft zum Arzt zu gehen. Hier sterben sehr viele Frauen bei der Geburt, einfach weil sie nicht vorher zur Untersuchung gegangen sind.“

Seitdem sich die Hausfrauenkomitees in ihrer Arbeit auf die gesamten Lebensbedingungen beziehen, ist diese auch nicht mehr auf die Streikphasen beschränkt. „Die Komitees kontrollieren ständig die Qualität und die Preise der Produkte auf dem Markt. Wir beobachten die Arbeit der Ärzte im Krankenhaus und die der Lehrer in der Schule. Wenn es ein Problem gibt, bilden wir eine Kommission und gehen zu den Verantwortlichen.“

In einigen Minen sind die Hausfrauenkomitees inzwischen als Verhandlungspartnerinnen anerkannt. Um die Anerkennung in allen Minen und in den Verhandlungen auf nationaler Ebene wird zur Zeit gekämpft. Immerhin haben die Hausfrauenkomitees in Peru etwas erreicht, was hierzulande unvorstellbar ist: In den Verhandlungen mit den Unternehmern auf nationaler Ebene saßen im letzten Jahr neben den Gewerkschaftsvertretern fünf Vertreterinnen der Hausfrauen, die in allen Punkten mitdiskutierten.

Die Ermordung Consuelos hat die gesamte Bewegung der Bergarbeiterfrauen getroffen. Für die Gruppe der Filomenas war sie jedoch nur der Anfang einer Geschichte von Verleumdungen, Verdächtigungen und Bedrohung. Zunächst wurden die Morde an Saul Cantoral und Consuelo Garcia der Guerillaorganisation „Sendero Luminoso“ angelastet, eine Version, die sich jedoch bald in Luft auflöste. Zu deutlich trägt das Verbrechen die Handschrift des „Comando Rodrigo Franco“, das seit Mitte letzten Jahres vor allem die Gewerkschaftsbewegung Perus terrorisiert. Die rechte peruanische Presse drehte daraufhin kurzerhand den Spieß herum und bezichtigte die Gruppe Filomena, eine Tarnorganisation von „Sendero Luminoso“ zu sein. „Soll nun der Mord an Consuelo gerechtfertigt werden, indem ihr Terrorismus vorgeworfen wird? Soll mit allen Mitteln von der Aufklärung der Geschehnisse abgelenkt werden?“, fragen die Filomenas in einer Erklärung zu den Verleumdungen der Presse.

Keines der Verbrechen des „Comando Rodrigo Franco“ wurde bis jetzt aufgeklärt. In den betroffenen Gewerkschaftskreisen wird davon ausgegangen, daß die Todesschwadron von der Regierungspartei APRA selbst organisiert und gelenkt wird. Für eine relativ kleine Gruppe wie die Filomenas ist diese Situation in höchstem Maße gefährlich. Um sich gegen den Terrorismusvorwurf zu verteidigen, haben die Filomenas begonnen, gegen die entsprechenden Zeitschriften zu klagen. Die Rechtsanwältin, die den Fall übernommen hatte, mußte im März unter Morddrohungen das Land verlassen.

Gabriela Simon

Es ist zwar ein schwaches Mittel, aber oft hilft es eben doch: Briefe schreiben an die Regierung, in diesem Fall an den peruanischen Präsidenten Alan Garcia mit der Forderung nach Aufklärung des Mordes an Consuelo Garcia und Saul Cantoral und nach Garantien für die Arbeitsmöglichkeiten von Frauenorganisationen und Gewerkschaften. Internationale Proteste machen manchmal großen Eindruck auf Regierungen, die noch auf ihr demokratisches Mäntelchen Wert legen. Auf Spanisch formulierte Briefe gibt es bei: Aktionsgemeinschaft Solidarische Welt, Hedemannstr. 14, 1000 Berlin 61. Dahin sollte auch unbedingt eine Kopie aller Briefe geschickt werden. Sie werden dann an die Filomenas weitergeleitet, die damit an die Öffentlichkeit gehen können.