Schmücker-Waffe ausgepackt

Die mutmaßliche Mordwaffe im Fall Schmücker lag beim Berliner Verfassungsschutz / Sie wurde jahrelang der Justiz unterschlagen / Die Leichen im Keller des Verfassungsschutzes werden ausgegraben  ■  Von Vera Gaserow

Berlin (taz) - Gut eine Woche, nachdem Berlins neuer Innensenator Pätzold eine Arbeitsgruppe zur Untersuchung der „Fehlentwicklungen“ beim Verfassungsschutz eingesetzt hat, barg diese Arbeitsgruppe gestern eine zweite „Leiche“ aus den Kellern des VS: Am Dienstag entdeckte die Arbeitsgruppe eine geheime Akte über den ehemaligen taz-Journalisten Michael Sontheimer, die angeblich längst vernichtet war.

Gestern nun präsentierte die Innenverwaltung zwei Pistolen, von denen eine die Tatwaffe sein soll, mit der 1974 der Student Ulrich Schmücker erschossen wurde. Schmücker, im Umkreis der „Bewegung 2. Juni“ aktiv, war kurz vor seinem Tod in der linken Szene als Verfassungsschutzinformant enttarnt worden. Gerüchte darüber, daß die Tatwaffe im Mordfall Schmücker gar nicht verschwunden ist, tauchten erstmals vor zweieinhalb Jahren auf. Damals hatte der 'Spiegel‘ berichtet, die Tatwaffe sei von einem Mittelsmann des mutmaßlichen Täters namens Volker Weingraber noch in der Tatnacht an den Verfassungsschützer Grünhagen übergeben worden. Seitdem lagere sie beim Landesamt für Verfassungsschutz und werde damit der Justiz vorenthalten.

Zu diesem Zeitpunkt hatte das Berliner Landgericht gerade im dritten Durchgang über den Schmücker-Mord zu Gericht gesessen und die fünf Angeklagten für schuldig befunden. Der damalige Innensenator Kewenig hatte die Existenz dieser jahrelang unterschlagenen Waffe nach diesen Zeitungsberichten weder bestätigt noch dementiert und damit beharrlich eine Aufklärung verweigert. Ob es sich bei der jetzt präsentierten Waffe tatsächlich um die Pistole handelt, mit der Schmücker 1974 im Berliner Grunewald umgebracht wurde, soll nun eine kriminaltechnische Untersuchung klären.

Das Aussehen der Waffe decke sich jedoch mit der Beschreibung, die die Jugendkammer des Berliner Landgerichts aufgrund einer Zeugenaussage in einem Urteil wiedergegeben habe, erklärte der Sprecher des Berliner Innensenats gestern. Die arg angerostete Waffe sei außerdem seit dem Mord an Schmücker im Besitz des Verfassungsschutzes. Die zweite Waffe, die jetzt präsentiert wurde, sei fünf Jahre später ins Landesamt für Verfassungsschutz gelangt und stehe in keinem direkten Zusammenhang mit dem Mordfall Schmücker. Die mutmaßliche Tatwaffe soll nun „unverzüglich“ dem Berliner Landgericht übergeben werden, das im Herbst zum vierten Mal über den Mord an Schmücker zu verhandeln hat. Erst vor einem Monat hatte der Bundesgerichtshof das Urteil gegen die fünf Angeklagten im Schmücker-Prozeß wegen schwerer Verfahrensmängel aufgehoben. Als einen Mangel hatte der BGH dabei gerügt, daß von staatlichen Stellen Beweismittel, und dazu zählt an erster Stelle die Tatwaffe, vorenthalten worden waren.