IG Medien: Aufbruch zum Umdenken?

Geschlossenheit beim Gründungsbeschluß der neuen Gewerkschaft / Zweiter Vorsitzender Hensche fordert Um- und Nachdenken über gewerkschaftliche Stilfragen / Nicht immer „fertige Antworten“  ■  Aus Hamburg Martin Kempe

Als im Hamburger Congress Centrum die Satzung der Mediengewerkschaft mit nur drei Gegenstimmen beschlossen war, hielt es die Delegierten des 1. Gewerkschaftstages der Industriegewerkschaft Medien - Druck und Papier, Publizistik und Kunst nicht mehr auf ihren Sitzen. Mit stehenden Ovationen wurde jenes neue Gebilde innerhalb des Deutschen Gewerkschaftsbundes begrüßt, an dem rund 20 Jahre gebastelt wurde, bis es am Sonnabend morgen, null Uhr, in seiner endgültigen Gestalt endlich Realität wird. Dann nämlich hören jene Organisationen, aus denen die IG Medien gebildet wurde, auf zu existieren. Ihr Vermögen ist dann auf die neue Organisation übertragen, ihr Personal von ihr übernommen, ihre Geschäftsstellen firmieren dann als Anlaufstellen für die Mediengewerkschaft, die nach den Vorstellungen ihrer Gründer ein Beispiel gewerkschaftspolitischer Zukunftsbewältigung sein soll. Am Mittwoch abend haben die Vorstände der Einzelverbände im Hamburger Rathaus den „Überleitungsvertrag“ unterzeichnet. Und am Donnerstag morgen faßten die Gewerkschaftstage die Auflösungsbeschlüsse für ihre jeweiligen Organisationen. Schon eine Viertelstunde nach Tagungsbeginn am Morgen strömten die Delegierten der IG Druck und Papier wieder aus dem Saal, kurz und leidenschaftslos löste sich die traditionsreiche, kampfstarke Druckergewerkschaft auf, die noch vor wenigen Wochen während der Tarifrunde um die Verteidigung des freien Wochenendes ihre Streik- und durchsetuungsfähigkeit bewiesen hatte.

Es war keine wirkliche Auflösung, denn für die Mitglieder der IG Druck und Papier wird sich in der neugegründeten IG Medien wahrscheinlich am wenigsten ändern. Aber viele Mitglieder der anderen beteiligten Organisationen gehen mit gemischten Gefühlen den Weg in die neue Großorganisation. Denn die Angst vor den übermächtigen Druckern, die den Großteil der Mitglieder und den Stamm der hauptamtlichen Funktionäre auf allen Ebenen der Mediengewerkschaft stellen, ist immer noch vorhanden. Man bewundert zwar ihre Kampffähigkeit gegenüber dem Tarifgegner, aber fürchtet eine gleiche, gegenüber Minderheiteninteressen unsensible Durchsetzungsfähigkeit auch innerhalb des nun gemeinsamen gewerkschaftlichen Hauses.

Es wird noch viele innerorganisatorische Konflikte und Querelen geben, bis die IG Medien sich ganz dem gewerk schaftspo

litischen Allta

hin ge

ben kann. Und es geht dabei durchaus nicht nur um die dominierende Stellung der mächtigen Drucker und ihrer Funktionäre.

Auch die Gewerkschaftsfunktionäre der IG Druck, die bisher auf eine geschlossene Basis zählen konnten, werden in der neuen Organisation umdenken müssen. Denn die Beschäftigten in den Medien, die Journalisten, die Rundfunkleute, Künstler sind Individualisten, allergisch gegen vorgefertigte Solidarität und stereotype Radikalität, mit der die Drupa bislang ihre Basis bei der Stange hielt.

Detlef Hensche, stellvertretender Vorsitzender und starker Mann im Vorstand der Mediengewerkschaft, versuchte am Dienstag einen ersten Anfang. „Müssen wir die Leute immer anöden, daß wir zu allen Dingen bereits die fertigen Antworten haben?“ Es sei an der Zeit, „endlich einmal einen Katalog der Fragen aufzustellen“, hielt er dagegen. Denn die gewachsene Mündigkeit der Menschen richte sich „natürlich in Gestalt entwickelter Ansprüche auch an uns selbst“. Die IG Medien müsse, so Hensche, in den nächsten eineinhalb bis zwei Jahren vor allem hinhören und diskutieren, „ohne gleich den Beschluß vor der Nase zu haben“.

Nachdenklichkeit also beim führenden Kopf der IG Medien, der einen neuen Stil gewerkschaftlicher Arbeit entwickeln will und dabei ganz in den alten Stil zurückfiel: „Vielleicht können wir auch hier voranmarschieren.“