Vom Kreuzzug zur Hilfsaktion

Frankreich setzte sich mit seiner Libanon-Politik zwischen alle Stühle / Presse forderte „Rettung der letzten Christen im Orient“ / Moslemische Milizen bombardierten französische Botschaft / Verletzte Christen aus Ost-Beirut evakuiert  ■  Von Beate Seel

Berlin (taz)- Man schrieb den 18.November 1095, als Papst Urban II vor dem Konzil zu Clemont die Christenheit des Westens aufforderte, den Brüdern im Osten zu Hilfe zu kommen und damit den ersten Kreuzzug in die Wege leitete. Heute schreibt man das Jahr 1989 und Frankreich schickt sich an, die Rationalität seiner Revolution und die Universalität der Menschenrechte zu feiern.

Gleichzeitig appelliert die französische Presse an mittelalterlich anmutende religiöse Instinkte, um die „Vernichtung der letzten Christen im Orient“ zu verhindern. Schauplatz des „Völkermords“, des syrischen Versuchs, „die Reste der Christenheit ins Meer zu treiben“ - so die französische Presse -, ist derzeit angeblich der Libanon, genauer gesagt die Enklave der Christen, die eine von siebzehn Religionsgemeinschaften des Landes bilden.

Doch die Bannerträger des Christentums gerieten schnell in Konflikt mit der Staatsraison. Selbst die französische Regierung, derart unter Druck gesetzt, dachte nicht daran, nun erneut Truppen in den Libanon zu schicken, um dem machthungrigen Christengeneral Aoun in seinem „Befreiungskrieg“ gegen Syrien unter die Arme zu greifen. Im Zuge der prochristlichen Kampagne in Frankreich und den Äußerungen von Staatschef Mitterrand („die instinktive Solidarität Frankreichs“) beeilten sich der syrische Rundfunk und verschiedene moslemische Politiker in West -Beirut, die Regierung in Paris an die Erfahrung aus dem Einsatz der multinationalen Truppe im Jahre 1983 zu erinnen. Damals kamen bei Selbstmordanschlägen unter anderem 53 französische Marineinfanteristen in Beirut ums Leben.

Doch der Ruf nach Aktion war unüberhörbar. „Ruhe, man tötet!“ hieß es beispielsweise in einem Kommentar der Zeitung 'Firago‘. Zunächst setzte das Außenministerium einen Emissär namens Deniau in Marsch, der für seinen christlichen Lobbyismus bekannt ist und denn auch, einmal in Beirut, als Sprachrohr von Aoun auftrat. Während in Paris Kundgebungen und Bittgottesdienste für die Christen im Libanon abgehalten wurden, schickte die Regierung Schiffe mit Hilfsgütern in Richtung Levante. Die moslemischen Politiker schäumten und forderten, Frankreich, ehemalige Mandatsmacht des Libanon, solle seine Soldidarität mit dem gesamten libanesischen Volk zeigen. Der syrische Außenminister Al Shara wies darauf hin, daß es auch Dutzende von Toten und Verletzten in den moslemischen Landesteilen, insbesondere in West-Beirut, gebe, die Opfer der Bombardierungen durch Aouns Armee seien. Im Christenlager dagegen rieb man sich die Hände. Die Bevölkerung des Bergdorfes Kahale orderte gar Trikoloren und Poster von Mitterrand.

Doch die Freude war verfrüht. Kaum war der zweite Emissär, Kouchner, im Libanon gelandet, da distanzierte er sich auch schon von den Äußerungen seines Vorgängers Deniau und deutete an, die Hilfslieferungen würden unter Umständen wieder eingestellt. Mitterrand stärkte Kouchner, der auch Minister für humanitäre Fragen ist, den Rücken und stellte klar, daß „Frankreich der Freund der Libanesen sämtlicher Konfessionen und sämtlicher Gemeinschaften“ sei.

Nach der Wende Mitterrands akzeptierte der Chef der moslemischen Regierung in West-Beirut, Al Hoss, am Donnerstag das Angebot aus Paris, die Hälfte der rund 40 Tonnen an Lebensmittel und Medikamente der moslemischen Seite zur Verfügung zu stellen.

Doch hatte er die Rechnung ohne den Drusenfürsten Junblatt gemacht, der forderte, Frankreich müsse zuerst Druck auf die Gegenregierung von Aoun ausüben, um sie zur Beendigung der Blockade der illegalen Häfen der moslemischen Milizen zu bewegen.

Am Samstag wurden die ersten vierzehn Schwerverletzten an Bord gebracht - ausschließlich Christen. Am frühen Sonntag morgen flammten die Kämpfe in Beirut erneut auf. Die französische Botschaft wurde unter Beschuß genommen. Eine mehr als deutliche Stellungnahme a la libanaise zum Beginn der „humanitären Intervention“.