Bravo im TV - Der taz zum Zehnten

■ „Aspekte“, ZDF, Freitag, 14.4., 22.10 Uhr und ARD, Sonntag, 16.4., 22.45 Uhr

Zum Jubiläum eine knappe Stunde taz im TV, kostenlose Werbung, nur die Sendezeit war ungünstig. Ich behaupte: Die taz-Davidschleuder gegen das Modell Deutschland anno '77 ist mutiert zum beliebten enfant terrible der hiesigen Pressefreiheit. Dies zum Thema bildhaften Nachdenkens zu machen - die verrottete Zeitungslandschaft hierzulande und mittendrin die taz, haben sich die öffentlich-rechtlichen Autoren der beiden Beiträge verkniffen. Warum?

Mir, der ich dieser Spezies angehöre, fiel, eingedenk der eigenen intensiven taz-Gründungs-Mitgliedschaft, auf, daß die hymnische Beziehung der Fernsehleute zur taz mit ihnen selbst zu tun haben muß.

Über den ZDF-Autor und seine zehn Minuten ist schnell zu reden. Der lieferte eine Pflichtübung, zeichnete, wie beim Eislauf, die Figuren linkes Intelligenzblatt im Umbruch, Quotierung, Einheitslohn, Selbstverwaltung und Qualität nach und vermummte seinen beamtenhaften Gestus mit hurtig -gestelzter Rede.

Die Autorinnen des WDR-Features boten dagegen ein Kür -Programm, getragen von stiller Liebe bis peinlicher Begeisterung gegenüber ihrem Objekt taz: kongenial immer da, wo ihnen die Selbstdarsteller der taz zur Hand gingen.

Ob inszeniert oder nicht, just zum Drehbeginn im taz-Haus an der Wattstraße zu Berlin, ergab sich eine Besetzung; die Kamera hielt auf anonym-autonome Knobelbecher beim Einmarsch von Hungerstreik-Unterstützern - das ewige taz-Thema Redaktions-Autonomie versus Außendruck konnte eindrucksvoller nicht vorgeführt werden.

Die Redaktion im Streit, wie sie sich angesichts der zehnten Besetzung im Laufe ihrer Geschichte zur Selbstbehauptung durchdringt, wird zum Ereignis, die Aktion zum Ritual, die Mikrophone mittendrin. Eine Rahmenhandlung ist gefunden.

Dann die Revue der Selbstdarsteller: ihr Star Arno Widmann, Paradiesvogel und letztes Exemplar der ehemaligen Frankfurter Fraktion, wie er im Museum hingerissen und flüsternd vor der lüsternen Erhabenheit einer Pieta mit Jesus und zwei Engeln steht oder den pfeil-geplagten Heiligen namens Sebastian lasziver Erotik überführt - der Kulturredakteur auf österlicher Motivsuche.

Eine andere Außen-Szene, das Innere der taz illustrierend: Die Polit-Berichterstatterin Brigitte Fehrle beim Abwerbegespräch im Flur des Schöneberger Rathauses vor dem Hintergrund der rot-grünen Regierungsbildung in Berlin - das Thema taz-Regierungszeitung. Und wie die taz-Frau ganz berlinisch unerschütterlich bleibt vor der Kamera.

Oder der Gewerkschaftsredakteur Martin Kempe in seiner alternativ geschnittenen Ladenwohnung mit zwei Kindern, mit kargem Einheitslohn und der späten Anerkennung der IG Metall -Funktionärsspitze für die taz in Form eines Brasilien-Trips -Stichworts etabliert oder: Die Realos nicht nur bei den Grünen, auch bei der taz machen ihren Weg (zumal beide gleich alt sind).

Auch der Zeitungsverkäufer im Kiez, abgesichert durch Tracht und Gehabe mit Fahrrad und Kneipenauftritt nebst Bluesnummer muß es den beiden WDR-Autorinnen angetan haben. Sie sangen jedenfalls, durch die Umbaustelle im neuen taz -Haus neben Springer an der Mauer stolpernd, das eher flache Lied der Presse-Frechheit (gegen die „Freiheit“) der Jubel -Zeitung im Trio mit Chefin Georgia Tornow.

Als ob das die taz noch immer nötig hätte; die Angestellten des öffentlich-rechtlichen Dienstes offensichtlich. Die Leserschaft - das ergab meine private Umfrage - wünscht ein politisches Medium aus scharfer Ironie und tellerrandüberbordender Kompetenz. Das Innenleben der taz interessiert kaum mehr. Ich wünsche, wie auch Erich Kuby im Jubel-Heft der taz: ohne Staatsknete und Mauermief, mit Rotation der Frontstadt-Dogmatiker, gegen die frühe Vergreisung des Nachrichtenteils, weg aus dem „ausgehaltenen“ West-Berlin - einen Umzug des Unternehmens nach Frankfurt. Worüber bis 1999 zu entscheiden wäre.

Johannes Winter