Liverpool in Trauer um seine Fußballfans

Fußballverein sagte sämtliche Spiele bis auf weiteres ab / Auch aus dem Brüsseler Heysel-Stadion wurde ein Beileidsgruß gesandt / Zahlreiche Untersuchungen sollen Ursachen der Katastrophe vom vergangenen Samstag klären  ■  Von Ralf Sotscheck

Liverpool trauerte am Sonntag um seine 94 Fußballfans, die am Tag zuvor bei einem Pokalspiel im mittelenglischen Sheffield zu Tode gedrückt worden waren. Bereits am frühen Morgen hingen Hunderte von Schals in den Farben des FC Liverpool, aber auch des Lokalrivalen FC Everton, am Eingangstor des Stadions an der Anfield Road, der Heimat des FC Liverpool. Der Verein hat inzwischen sämtliche Fußballspiele auf unbestimmte Zeit abgesagt. Um 12 Uhr wurde das Tor geöffnet, und Tausende von Menschen legten Blumen auf das Spielfeld. Fast alle britischen Fußballvereine sandten Kränze an die Anfield Road. Ein Kranz kam auch vom Brüsseler Heysel-Stadion, wo randalierende Liverpooler Fans vor vier Jahren den Tod von 39 Besuchern des Europapokal -Endspiels verursachten. Um 14 Uhr wurde die Glocke der großen anglikanischen Kirche geläutet - ein Ereignis, das in der Vergangenheit nur beim Tod des Königs eingetreten ist. Am Nachmittag fand in der katholischen Kathedrale von Liverpool eine gemeinsame Gedenkmesse aller Konfessionen statt, an der 3.500 Menschen teilnahmen. Vor der Kathedrale hatten sich weitere 15.000 Menschen angesammelt, so daß die Messe unter freiem Himmel wiederholt wurde.

Im britischen Radio und Fernsehen liefen den ganzen Tag Sondersendungen, in denen Überlebende der Katastrophe von Sheffield und Angehörige der Opfer interviewt wurden. Die meisten gaben der Polizei die Schuld an den Ereignissen, weil sie keine Kontrolle über die drängelnde Menschenmenge vor den Eingängen hatte und statt dessen einfach das Tor öffnete, wodurch der Liverpooler Stadionblock hoffnungslos überfüllt wurde. Darüber hinaus habe die Polizei Hunde auf Zuschauer gehetzt, die sich auf das Spielfeld retten wollten. Der Arzt Dr.John Ashton von der Liverpooler Universitätsklinik, der in Sheffield dabei war, sagte sarkastisch: „Hohe Polizeibeamte behandeln unsere Fans wie Tiere und machen sich für die Einführung von Personalausweisen stark. Diese Ausweise wären in Sheffield sehr nützlich gewesen. Sie hätten mir bei der Identifizierung der Toten sehr geholfen.“

Premierministerin Margaret Thatcher, die das Hillsborough -Stadion in Sheffield am Sonntag besuchte, hat eine öffentliche Untersuchung angeordnet. Unabhängig davon haben auch der englische Fußballverband und die Polizei in Yorkshire Untersuchungen eingeleitet. Vor allem soll die Frage des Verhaltens der Polizei beantwortet werden. Außerdem soll untersucht werden, ob die Zuteilung der Eintrittskarten adäquat war. Liverpool waren weniger Karten als der gegnerischen Mannschaft von Nottingham Forest zugeteilt worden, obwohl der Verein doppelt soviele Fans hat. Ein weiterer Untersuchungspunkt wird die medizinische Versorgung sein, über die sich viele Verletzte, aber auch Ärzte, beschwert haben. Es ist zu erwarten, daß die Spielfeld-Umzäunungen, die sich in Sheffield als Todesfallen erwiesen haben, in allen britischen Fußballstadien abgeschafft werden. Verschiedene Politiker forderten, alle Stadien der obersten Spielklasse ausschließlich mit Sitzplätzen zu versehen. Die Vereine werden dagegen jedoch Widerstand leisten, weil die Kosten dafür sehr hoch wären und die Stadionkapazitäten stark verringert würden.