„Herren und Damen“ seit 70 Jahren

■ Bürgerschaftspräsident Klink erinnerte gestern an ein „historisches Datum“

Zu Beginn der Bürgerschaftssitzung erinnerte dessen Präsident Dieter Klink gestern an ein „historisches Datum“. Vor 70 Jahren, genau am 26. April 1919, stand zum ersten Mal in der Geschichte des Bremer Parlaments eine Frau am Rednerinnen-Pult. Es war die Kommunistin Elise Kesselbeck, die in die Debatte um die Durchsetzung des Immunitätsrechts eingriff. Am Beispiel der wiederholten Verhaftung des Abgeordneten Hermann Böse in den vergangenen Tagen begründete sie die Dringlichkeit eines besonderen Schutzes der Abgeordneten.

Bereits die konstituierende Sitzung der Bremischen Nationalversammlung, zu deren 200 Mitgliedern erstmals auch 18 Frauen gehörten, wurde vom Sozialdemokraten Hermann Rhein am 4. April 1919 mit der Anrede „sehr geehrte Damen und Herren“ eröffnet. Eine revolutionäre Floskel in einem Land, in dem kurz zuvor noch das preußische Vereinsgesetz von 1850 galt, nach dem „keine Frauenspersonen, Schüler und Lehrlinge“ noch nicht einmal an Sitzungen teilnehmen durften, in denen „politische Gegenstände“ erörtert wurden.

Entgegen der Begrüßungs-Floskel des Präsidenten Hermann Rhein, die sich bis heute weitgehend erhalten hat, redeten die ersten Frauen im Bremer Parlament ihre KollegInnen mit „sehr geehrte Herren und Damen“ an, um damit die realen patriarchalen Herrschaftsverhältnisse kenntlich zu machen. Heute, 70 Jahre später, sind 28 der 100 Abgeordneten Frauen. Und mit dem Rücktritt von Ralf Fücks als Bremer Abgeordneter sind die Grünen ab heute zumindest in der Stadtbürgerschaft die erste Fraktion der Bremer Parlamentsgeschichte mit weiblicher Mehrheit (5:3). „Sehr geehrte Herren und Damen“ sagt allerdings nur noch Senatorin Rüdiger.

„Leider ist das gesteckte Ziel - trotz klarer und eindeutiger Gebote in Grundgesetz und Landesverfassung noch immer nicht voll erreicht“, sagte Bürgerschaftspräsident Klink.

Ase