Die Parias von Paraguay

350.000 Bauern ziehen auf der Suche nach einem freien Stück Land durch Paraguay / Die beiden Präsidentschaftskandidaten für die Wahlen am 1.Mai versprechen eine Landreform, doch die Bauern sind mißtrauisch geworden / Einheimische und ausländische Großgrundbesizter haben das Land unter sich verteilt  ■  Aus Asuncion Gaby Weber

Schon der im Februar gestürzte Diktator Alfredo Stroessner hatte bei seiner Amtsübernahme 1954 den Bauern Paraguays eine Landreform versprochen. Und auch sein Nachfolger, General Andres Rodriguez, der sich am 1. Mai zum Präsidenten wählen lassen will, stellt eine Veränderung der Agrarverhältnisse in Aussicht, selbstverständlich ebenso der liberale Oppositionsführer Domingo Laino. Doch die Bauern sind mißtrauisch. Von Agrarreform haben sie schon oft gehört, gekannt haben sie nur eine, und die kam von unten: Immer wieder haben Bauern Land besetzt, das „Institut für ländliches Wohlergehen“ (IBR), eine Art Landwirtschaftsministerium, hat die vollendeten Tatsachen in aller Regel im nachhinein anerkannt. An die 400.000 Hektar Land sind unter der vergangenen Diktatur auf diese Weise an landsuchende Bauern „verteilt“ worden.

Ausverkauf des

fruchtbaren Ackerlands

Doch bereits seit Anfang der achtziger Jahre gibt es kein freies Ackerland mehr, das verteilt werden könnte. Paraguay ist ausverkauft. Riesige Latifundien sind im Besitz der paraguayischen Generäle, aber auch viele Deutsche und Japaner haben sich in den letzten Jahren im „Land des Friedens und des Fortschrittes“ Grund und Boden zugelegt. Von den 40 Millionen Hektar fruchtbaren Ackerlandes sind 32 Millionen in den Händen von 1.500 Großgrundbesitzern schätzt die „Paraguayische Bauernbewegung“ (MCP), in der sich etwa 100.000 Familien organisiert haben. Den Rest teilen sich einheimische Kleinbauern. Viele haben nicht mehr als fünf Hektar, das ist zuviel zum Sterben und zuwenig zum Leben. Spätestens wenn die Kinder erwachsen sind - und die Bauernfamilien haben nicht selten zehn Kinder - müssen sie den elterlichen Hof verlassen. Industrielle Arbeit gibt es kaum. Der Markt ist klein, und der Schmuggel blüht. Insgesamt 350.000 Bauern ziehen auf der Suche nach einem freien Stück Land durch Paraguay.

Der Landesteil westlich des Rio Paraguay wird Chaco genannt. Es ist eine Steppe, vorwiegend mit einem dornigen Krüppelbusch bewachsen. Der Chaco macht etwa 61 Prozent des Staatsgebietes aus, ist aber mit durchschnittlich 0,05 Einwohner pro Quadratkilometer nur sehr dünn besiedelt. „Trotzdem ist das Land zu klein für seine Einwohner“, sagt Bischof Melanio Medina. Dort gibt es riesige Latifundien mit mehr als 1,5 Millionen Hektar. Am Rand der Transchaco -Landstraße leben nach Auskunft des Bischofs heute 250 Familien in provisorischen Hütten ohne einen Fleck Boden. „Sie warten darauf, daß das IBR, dessen Präsident den Sturz der Stroessner-Diktatur überlebt hat, seine Versprechungen erfüllt und ihnen Land zuteilt.“

Investoren aus Japan

und der Bundesrepublik

Im Osten des Landes haben sich tausende Japaner niedergelassen - mit großzügigen Krediten aus Tokio. Die Provinz Itapua im Süden des Landes hingegen ist fest in der Hand der Deutschen. Viele leben seit Generationen in dieser fruchtbaren Gegend, aber in den letzten Jahren haben sich auch in der Bundesrepublik ansässige Spekulanten eingekauft. Drei Viertel des Bodens sind in Itapua in Händen von Ausländern. Sie kümmern sich wenig um das paraguayische „Anti-Latifundium-Gesetz“, das die Enteignung von Großgrundbesitz über 10.000 Hektar vorsieht. „Dieses Gesetz besteht nur aus toten Buchstaben“, sagt Rechtsanwalt Juvenal Figari von einer ökumenischen Hilfsorganisation, „man umgeht es mit Strohmännern, Abkommen mit Militärs oder Funktionären der regierenden Colorado-Partei. Oft hatte das IBR Land ganz offiziell an Paraguayer verteilt, aber eine Grundbucheintragung verschlampt. Diese Ländereien wurden dann noch einmal verkauft. Die Besetzer werden mit Gewalt von Polizei und Militär vertrieben.

Landbesetzungen

und Alphabetisierung

Die MCP hat die meisten Landbesetzungen der vergangenen Jahre unterstützt und organisiert, mit Demonstrationen, Hungerstreiks, Anwälten. Sie erfüllt auf dem Land auch soziale Aufgaben: Sie hilft den Bauern bei der Abfassung von Schriftstücken und erteilt Ratschläge über Körperpflege: „Unabhängig von deinem Alter mußt du dich jeden Tag mit viel Wasser und Seife mindestens einmal waschen“, lehren MCP -Frauen in einem zweisprachigen Flugblatt. Auf dem Land, wo immer noch 70 Prozent aller Paraguayer leben, wird nicht spanisch, sondern die Landessprache Guarani gesprochen.

Längst geht es der MCP nicht mehr nur um individuelle Lösungen, um ein paar Hektar, für die eine Familie ihr Leben lang den Colorados dankbar sein muß. „Während die Gringos ihre Modell-Farmen haben, leben die Paraguayer wie die Parias in ihrem eigenen Vaterland“, sagt MCP-Sprecherin Maguiorina Balbuena, „wir fordern nicht nur Land, sondern auch technische und finanzielle Hilfe.“ Die Höfe der Deutschen und Japaner sind voll mechanisiert, sie produzieren im großen Stil und billig. Die Paraguayer können da nicht mithalten. Sie haben keinen Maschinenpark, und mitunter - wie etwa bei Baumwolle, wo die Verkaufspreise staatlich festgesetzt werden - übersteigen ihre Produktionskosten sogar die Erträge. So beträgt der staatlich festgelegte Baumwollpreis 300 Guaranies (0,60 Mark) pro Kilogramm, während die Produktionskosten bei 432 Guaranies liegen, rechnet Maguiorina Balbuena vor. Wenn mehrere Zwischenhändler in dem Baumwollgeschäft mitmischen, müssen die Bauern manchmal sogar mit nur 200 für das Kilogramm vorliebnehmen. Produziert wird vornehmlich für den Eigenverbrauch.

Massaker an Chefs

der Bauernbewegung

Die MCP hat ihre Wurzeln in den „Ligas Agrarias“ und in der Katholischen Landjugend, die vor zwanzig Jahren von der katholischen Kirche ins Leben gerufen wurden. Diese Landbewegung hatte sich zunehmend radikalisiert, doch nachdem sich die Kirchenhierarchie zurückgezogen hatte, wurde sie 1976 endgültig zerschlagen; ihre Anführer wurden erschossen und in Massengräbern verscharrt oder landeten in Lagern.

Die versprengten Reste gründeten im Dezember 1980 die MCP. Diese bezeichnet sich als „sozialistisch, gewerkschaftlich, gewaltfrei und strikt unabhängig von Parteien und Kirche“. Die MCP-Führer Gabriel Garcia und Maguiorina Balbuena habe noch nie jemand zu Gesicht bekommen, heißt es in Oppositionskreisen, vielleicht sei die MCP nur eine Erfindung der Geheimdienste. Doch ist es nicht schwierig, die beiden MCP-Führer ausfindig zu machen.Sie leben nicht im Untergrund, sondern in Caaguazu, 150 Kilometer östlich von Asuncion, wo sie Mangos, Avocados und Pflaumen anpflanzen. Ihre Kinder heißen Fidel und Marta (nach Marta Harnecker, einer Marxismus-Theoretikerin, die in Kuba lebt). Die MCP sei eine Interessenvertretung der Bauern, keine politische Partei. Er persönlich, sagt Garcia, bewundere die kubanische Revolution sehr und auch Che Guevara.

Nachdenken über revolutionäre Alternativen

Ebenso wie die paraguayischen Oppositionspolitiker den Kontakt zur MCP meiden, betrachtet die Bauernorganisation die städtische Intelligenz mißtrauisch. Man tanzt ja auch auf zwei verschiedenen Hochzeiten; die Oppositionspolitiker in Asuncion entstammen fast alle der Mittel- oder Oberschicht, und sie halten Demokratie für eine Angelegenheit, die mit sozialen Veränderungen nichts zu tun hat. Bei ihren Empfängen ist nie ein Bauernführer, aber immer der US-Botschafter anwesend. Vom geordneten Übergang in eine bürgerliche Demokratie verspricht sich die MCP wenig. „Wir sind kein Anhängsel der bürgerlichen Politiker, von denen viele reiche Unternehmer und Großgrundbesitzer sind“, sagt Garcia. Er denkt statt dessen laut über „revolutionäre Alternativen“ nach und plant die Gründung einer neuen Sozialistischen Partei.

Garcia verweist auf das Nachbarland Argentinien, das heute zwar demokratisch sei, aber „das Schicksal der 30.000 Verschwundenen wurde nicht aufgeklärt, die nationale Industrie liegt am Boden, die Menschen sind ohne Arbeit“. Auch in Paraguay wollen die Demokraten nichts an den Besitzverhältnissen ändern, fürchtet er. Als ersten Schritt fordert er die Beschlagnahmung aller Ländereien des Stroessner-Clans und seiner korrupten Camarilla. Doch davon ist im Moment in Asuncion nicht die Rede, bei der Opposition nicht und noch viel weniger bei der Regierung.