Von der Waffe zur Kritik

Raul Sendic, der Gründer der uruguayischen Stadtguerilla Tupamaros, ist tot  ■ P O R T R A I T

In einer Pariser Klinik erlag in der Nacht zum Freitag Raul Sendic, Gründer der Tupamaros, der legendären Stadtguerilla Uruguays, „einer langen, schweren Krankheit“, wie die Ärzte mitteilten. Nach Angaben seiner Angehörigen litt der 63jährige an neurologischen Störungen, die auf die Mißhandlungen in der Haft zurückzuführen sind. Sendic war während der Militärdiktatur (1973 bis 1985) schwer gefoltert worden. Zwölf Jahre verbrachte er in Isolationshaft. Erst nach dem Sturz der Diktatur kam er 1985 frei. Bis zu seinem Tod war er ZK-Mitglied der Tupamaros, die heute als legale politische Partei arbeiten.

Bereits 1960 organisierte Raul Sendic, Sohn eines mittleren Grundbesitzers, die Zuckerrohrarbeiter von Uruguay, deren Hauptparole bald „Por la tierra y con Sendic“ (Für Land und mit Sendic) lauten sollte. 1962 begann er mit dem Aufbau einer Untergrundbewegung, die sich drei Jahre später unter dem Namen Tupamaros mit einer Bombe vor der Niederlassung von Bayer (Leverkusen) in Montevideo zum erstenmal zu Wort meldete.

Aufgrund ihrer phantasievollen, oft spaßigen, aber immer wieder auch militärischen Aktionen genoß die Stadtguerilla zumindest unter Studenten und in der hauptstädtischen Mittelschicht zeitweilig große Sympathie. Und auch fernab: „Tupamaros Westberlin“ unterzeichnete Anfang der 70er Jahre ein militantes Splitterprodukt der antiautoritären Revolte in der Mauerstadt seine Flugblätter. Weltweit bekannt wurde die Stadtguerilla durch Costa Gavras‘ Kultfilm „Der unsichtbare Aufstand“.

1970 wurde Raul Sendic verhaftet, ein Jahr später gelang ihm zusammen mit 107 Genossen eine spektakuläre Flucht aus dem Gefängnis. Bei der zweiten Verhaftung 1972 wurde sein Unterkiefer zerschossen. Zwölf Jahre lang hielt die Diktatur Sendic in Geiselhaft und kündigte öffentlich an, ihn zu erschießen, falls die Tupamaros ihren Kampf fortsetzen würden. Doch die Untergrundbewegung war bereits vor der Machtübernahme der Generäle militärisch geschlagen. Nach seiner Freilassung unterzog sich Sendic in Kuba einer Kieferoperation. Doch bis zu seinem Lebensende fiel ihm das Sprechen extrem schwer.

Im vergangenen Juni trat Raul Sendic in West-Berlin auf. Im Rahmen der Anti-IWF-Kampagne hielt der gealterte Revolutionär eine recht moderate Rede über die Situation in den Länder Lateinamerikas. Der Nachwelt hat er „Briefe aus dem Gefängnis“ (1984), „Überlegungen zur Wirtschaftspolitik“ (1985) und „Boden, Banken und Auslandsschuld“ (1986) hinterlassen sowie zahlreiche Kolumnen im 'Mate Amargo‘ (Bitterer Kräutertee), dem zweiwöchentlich erscheinden Organ der heutigen Tupamaros.

Thomas Schmid