„An der Schwelle zur Gezeitenwende“

■ Grünes Starkdeutsch: Ralf Fücks‘ unterbliebene Ansprache zum 1. Mai

Alle durften sie gestern zu Deutschlands Arbeitern sprechen, nur einer durfte nicht: Dabei hätte das Rhetorik -Talent des frischgebackenen Bundesvorstandssprechers der Grünen, Ralf Fücks, doch ganz bestimmt den 1.-Mai-Umzug in Stimmung gebracht. Vielleicht klappt's ja nächstes Jahr. Wir präsentieren heute einen Vorgeschmack. Es handelt sich um den gekürzten Original-Text der Fücksschen Presseerklärung zum 1. Mai mit eingestreuten Regieanweisungen für das kämpferische Publikum:

Der 1. Mai ist längst kein musealer Feiertag der traditionellen Arbeiterbewegung mehr. (vereinzelte Pfiffe musealer Traditionalisten) Er ist zum Spiegel für die Forderungen eines bunten Spektrums von gewerkschaftlichen Gruppen, Friedensinitiativen, Frauenbewegung, Ausländerinitiativen und Ökologiebewegung geworden. In diesem Bündnis steckt die Kraft, die jetzige Wendekoalition von der Macht zu vertreiben und eine neue gesellschaftliche Mehrheit für ökologische und soziale Reformpolitik zu bilden. (bunter Beifall)

Wir stehen an der Schwelle einer „Gezeitenwende“ wie Ende der 60er Jahre:

-Die Forderung nach demokratischer Teilhabe, nach betrieblicher Mitbestimmung auch über Technik und Investitionen, erweiterten Einspruchsrechten der Bürger gegenüber staatlichen Planungen, nach gesellschaftlicher Kontrolle gegenüber gefahrenträchtigen neuen Technologien ist zu einer breiten Grundströmung geworden. Die jetzige Regierungskoalition antwortet darauf mit der Einschränkung demokratischer Freiheiten wie dem Demonstrationsrecht und mit dem Ausbau des Überwachungsstaats. Die Zeit ist reif, um die Zimmermänner und Rebmänner in Pension zu schicken. (heftiger Protest aus den Reihen der Steuerzahler -Gewerkschaft)

-Der Aufbruch der Frauen in Politik, Beruf und im Privatleben verändert das Gesicht unserer Gesellschaft. Das Patriarchat bröckelt. (quotierte Reaktionen) Die Damen Süßmuth und Lehr sollen die Ungeduld der Frauen besänftigen, und gleichzeitig versuchen die Reaktionäre in CDU/CSU, das Recht auf Abtreibung erneut zu beschneiden. Beides wird nicht gelingen. (einzelne Hurra-Rufe)

-Der Europäische Binnenmarkt dient Arbeitgeberverbänden und Bundesregierung als Stemmeisen, um ökologische, tarifliche und sozialpolitische „Hemmnisse“ auszuhebeln. (Zwischenruf: „Was können die Stemmeisen dafür?“) Dagegen hilft nur die grenzüberschreitende Solidarität der Gewerkschaften und der Ökologiebewegung. Wir wollen ein soziales, umweltbewußtes und friedliches Europa - das geht nur in konsequenter Opposition gegen die jetzige Politik der EG. (Rufe: „Hoch die, nieder mit, vorwärts zum, bumm, bumm, bumm!“)