Prima Leben unterm Stiefel

Dienstagsexperten kommen zu Wort: Enno Bohlmann  ■ Ü B E R L E B E N S B Ö R S E 8 9

Jetzt ist es raus: 140.000, in Worten: einhundertvierzigtausend, Dauerchristen haben sich zum 23.Deutschen Evangelischen Kirchentag vom 7. bis 11.Juni angemeldet. 140.000 demütig grinsende Betmäuler. Und was noch schlimmer ist: sie treffen sich in Berlin West. Düsseldorf '85 zählte 127.000, Frankfurt '87 125.000 - in Berlin müssen es partout 140.000 sein. Darunter machen sie es nicht. Ein kleiner Hoffnungsschimmer: 3.000 Schlafstellen werden noch gesucht, aber es steht das Schlimmste zu befürchten (nötigenfalls werden Asylantenheime geräumt).

Der Generalsekretär des Kirchentages aus Fulda meinte dazu: „Diese Zahl kann schon Angst machen.“ Von wegen: Es wird die Hölle sein. 250.000 Jesuslatschen werden auf unseren atheistischen Gefühlen gnadenlos fröhlich herumtrampeln. Die U-Bahnen werden überquellen mit gläubigen fröhlichen Seelen, an den Wagenwänden wird sich den Verstand beleidigende Seelennepperei breit machen („Es spricht der Herr zum Punker Krause: für Dich gibt's ein Zuhause“ - „Das Glaubensabenteuer ruft, ruf zurück“), und wer es dann immer noch nicht begriffen hat, dem/der werden sie stationenlang mit Kirchenliedern (flotten und modernen) in den Ohren liegen, denn schließlich ist der Herr unter ihnen, und dann schweigt kein Schwein und keine Flöte mehr. Die Flucht in andere Waggons wird sinnlos sein, dort werden sie auch schon singen. Inbrünstig und endlos. Und weil die U-Bahn kreuzproppevoll sein wird, werden die auf den Bahnsteigen Zurückgebliebenen zum Zeitvertrieb Lieder anstimmen und Polonaisen bilden. Ich höre sie schon singen: „Der schönste Platz ist immer an der Betbank, an der Betbank ist der schönste Platz.“ Tusch, und dann wird wieder 'ne Runde Abendmahl geschmissen. Wir werden uns noch zu den glücklichen Turnfesttagen zurücksehnen.

40 Prozent der einfallenden Vollblutchristen aus dem Lutheraner Gestüt werden junge Menschen im Alter von 18 bis 29 Jahren sein, was bei dem linksliberal-alternativen Spektrum garantiert famos ankommen wird, wenn es nicht gleicht mitmacht: beim Beten für Mandela, beim Solidaritätsfasten für die Dritte Welt, beim Antje Vollmer -Appell an den Staat und dessen Feinde, doch nett zueinander zu sein, beim Arbeitskreis „Nageln, aber richtig - Das Kreuz mit Aids“, beim Workshop gegen Fremdenfeindlchkeit „Jesus war Ausländer“, schließlich bei der Menschenkette rund um die Mauer zur Versöhnung zwischen wem und was auch immer. Ja - ChristInnen sind gar nicht so, und darum wird es auch täglich eine Kirchentaz-Seite geben, damit die fehlenden 10.000 Abos alsbald eingetrieben sind.

Wenn die große Christen-Sause ihren jesusmäßigen Höhepunkt erreicht haben wird, wird sich kein Arsch mehr um unsere verletzten atheistischen Gefühle scheren. Darum schon jetzt im Vorfeld, wo es noch erlaubt ist und vielleicht Gehör findet, ein Hilfeschrei. Sie werden unaufhaltsam über uns hinwegpreschen, denn sie wissen, was sie tun.