„Die Freiheit trägt den Namen der Frau“

■ Frauenbewegung in Chile: Über ideologische Gräben hinweg arbeiten Frauen zusammen / Feministinnen: klein, aber fein - mit wachsendem Einfluß auf die Politik der Opposition / Macht bleibt Männergeschäft: keine Kandidatin auf der Namensliste für die Wahl des Präsidenten / Keine Autonomie: Parteien dominieren die Frauenpolitik

Ulrike Helwerth

Schaulustige Männer belagern die Eingänge. Mancher hofft gar, unter den weiblichen Heerscharen die Frau fürs Leben zu finden. „Wir sind Junggesellen und suchen Begleitung“, hat einer auf ein Plakat geschrieben. Andere begehren immer wieder Einlaß. Doch da, wo sie sonst Hausrecht besitzen, müssen sie an diesem Tag draußen bleiben. Das „Santa Laura“, ein Fußballstadion im Norden von Santiago, gewährt heute nur Frauen Zutritt.

Kein kleines Ziel hatte sich die „Concertacion Nacional de Mujeres por la Democracia“ (Konzertierte Nationale Aktion der Frauen für die Demokratie) gesteckt: zum 8.März, so versprachen die Initiatorinnen, wollten sie das „Santa Laura“, das immerhin Platz für 25.000 Personen bietet, mit Frauen füllen. Und sie hielten Wort, „Palabra de Mujer“. Mehr als 20.000 strömten dort am Abend des Internationalen Frauentags zu einem bunten Spektakel zusammen. Das Fest, hatte das Vorbereitungskomitee vorher öffentlich erklärt, sollte dieses Mal ganz anders werden als die üblichen 8.März -Feierlichkeiten, denn „es ist der erste 8.März, den wir nach dem siegreichen Plebiszit in der Gewißheit feiern, daß dieses Jahr unser Vaterland die Demokratie zurückerobern wird“. Als Absage an die dröge männliche Politkultur wurden alle Reden und Ansprachen vom Programm gestrichen. Das hatte noch einen anderen Vorteil: Der gewöhnliche Zank um Rednerinnenproporz und politische Message konnte so erst gar nicht aufkommen. Statt dessen gab es viel Lichtzauber, Spirit, Tanz, Theater, Weib und Gesang. Protagonisten des Abends: zwei überlebensgroße Puppen, Hebamme und Hochschwangere. In Erwartung der nahen Niederkunft entspann sich zwischen den beiden ein Dialog, der hineinführte in die Geschichte der chilenischen Frauen, von den Indianerinnen der vorkolonialen Zeit bis zum heutigen Widerstand gegen Pinochet und in der symbolischen Geburt der „Neuen Frau“ endete. Die Gesänge und Sprechchöre gegen das Regime nahmen kein Ende. 1. Kasten

Die meisten Teilnehmerinnen zeigten sich sehr befriedigt über den „Acto“. Dabei hatte es bei den Vorbereitungstreffen allerhand Kritik gegeben am Konzept und Veranstaltungsort: zu teuer, zu abgeschlossen. Eine große Demo im Zentrum sei billiger und erreiche mehr Menschen. Wie sollten die Frauen aus den abgelegenen Armenvierteln die teuren Fahrtkosten bezahlen? Zu mystisch und zu unpolitisch. Wo blieben die Forderungen „Brot, Arbeit, Gerechtigkeit und Freiheit“ auch für die politischen Gefangenen? Dann war aber Platz für Parolen jeder Art. Flugblätter kursierten in Mengen, selbst die bewaffnete Untergrundorganisation „Frente Patriotico Manuel Rodriguez“ sandte per Schmuckkarte „der patriotischen Frau“ zu ihrem Ehrentag einen revolutionären Gruß.

Die oppositionelle Tagespresse widmete dem Ereignis in den folgenden Tagen Titel- und Fotoseiten, die Vertreterinnen der „Concertacion Nacional de Mujeres por la Democracia“ zeigten sich zufrieden. Auf ihre Initiative hin war es gelungen, Regimegegnerinnen über alle ideologischen Gräben hinweg zusammenzubringen. Alle hatten sich für den 8.März ins Zeug gelegt.

Zu dieser konzertierten Frauenaktion hatten sich im Dezember 1988 Persönlichkeiten verschiedener Parteien, Gewerkschaften, sozialer Organisationen und Frauengruppen zusammengetan. Das politische Spektrum folgt im wesentlichen der „Concertacion por la Democracia“ (Konzertierte Aktion für die Demokratie), die vergangenes Jahr von 17 Oppositionsparteien ins Leben gerufen wurde. Vertretenes Spektrum: Nationale Demokraten bis Sozialisten, also rechts -mitte bis mitte-links. Ziel der Frauen-Pressure-Group: ein umfassendes Antidiskriminierungsprogramm zu erarbeiten, breit zu diskutieren und eine zukünftige demokratische Regierung so verbindlich wie möglich darauf zu verpflichten. Und so hieß das Motto des diesjährigen 8.März auch: „Mit der Demokratie kann's nur was werden, wenn die Frauen dabei sind.“

In der Tat waren es die chilenischen Frauen, die seit 1973 die Bewegung gegen die Diktatur in die Gänge brachten. Es waren vor allem Mütter, Ehefrauen, Schwestern, Töchter ermordeter, verschwundener, verhafteter oder aus dem Land getriebener Männer, die die ersten Menschenrechtskomitees gründeten und aus Protest auf die Straße gingen, verprügelt und verhaftet wurden. Es waren Frauen, die in den Armenvierteln Volksküchen, Gesundheitsposten, Kindergärten und Werkstätten aufbauten, um das Überleben ihrer Familien zu sichern. Damit wurden Grundsteine für die Organisation dieser Viertel gelegt, ohne die die Proteste der vergangenen Jahre kaum denkbar gewesen wären. Es waren Frauen, die nach dem Putsch als Kurierinnen oder Mittelsfrauen die Strukturen der zerschlagenen politischen Organisationen flickten und zusammenhielten. 2. Kasten

„Movimiento de Mujeres“, Frauenbewegung: Mit Feminismus ist sie nicht gleichzusetzen. Zum „Movimiento“ gehören heute die Aktivistinnen in den Menschenrechtsgruppen, die zahlreichen Selbsthilfegruppen und Komitees in den Armenvierteln, die Beratungsstellen, Bildungsstätten, Forschungs- und Dokumentationszentren. Dazu gehören die „Frauenkommissionen“ in Parteien und Gewerkschaften, die Organisationen der Landfrauen und Indianerinnen, der Frauenbuchladen und die „collectivos feministas“. Eine Bewegung, in der das Verhältnis von Klassen- und Geschlechterwiderspruch noch lange nicht geklärt ist, die sozial sehr heterogen und (partei-)politisch zerstritten ist und dennoch immer mehr an Bedeutung gewinnt. Das alte Vorurteil, daß die Mehrheit der Chileninnen reaktionär sei (das besonders Nahrung durch die „Caserolas“ erhielt, die zu Allendes Zeiten mit leeren Kochtöpfen auf die Straßen gingen, um gegen die schlechte Lebensmittelversorgung zu protestieren), wurde spätestens am 5.Oktober 1988 widerlegt. Obwohl sich das Regime in jahrelanger gezielter Propaganda um die Stimmen der Frauen bemüht hatte, ein Frauensekretariat einrichtete und ein dichtes Netz von „Mütterzentren“ unterstützt, votierten auch die Frauen beim Plebiszit mehrheitlich mit „Nein“.

„Der Kandidat kann auch eine Frau sein“, orakelte Pedro Engel, von Beruf Philosophiedozent und Wahrsager, Anfang Januar 1989. Die oppositionelle Zeitschrift 'Analisis‘ hatte ihn zum Jahreswechsel um eine Prognose für die kommenden Präsidentschaftswahlen gebeten. Beim Tarot erschien Engel die Königin der Kelche. Er hatte es geahnt: „Seit geraumer Zeit sagt mir die Stimme des Orakels, daß eine Frau kommen wird oder eine weibliche Energie, die uns Zärtlichkeit, Mütterlichkeit, Geborgenheit zurückbringt.“

In Chile wird im Dezember 1989 ein neuer ziviler Präsident und ein Parlament gewählt. Vorausgesetzt, das Regime hält sich an die Spielregeln, die es aufgestellt hat. Schon vor Monaten hat sowohl unter Pinochets Vasallen als auch unter seinen Gegnern ein heftiges Gerangel um den zukünftigen Kandidaten begonnen. Denn auf beiden Seiten ist man sich im klaren, daß nur jeweils ein Einheitskandidat Gewinnchancen hat. Selbst die Kommunisten, die sich lange weigerten, die Demokratisierungsspiele der Diktatur mitzumachen und bis vor zwei Jahren die bewaffnete Erhebung als einzige Möglichkeit sahen, das Regime loszuwerden, scheinen nun zu einem breiten Oppositionsbündnis bereit. 3. Kasten

Die Suche nach einer passenden Figur erweist sich beim allgemeinen Parteienhickhack als sehr mühsam. Einige Namen werden bereits gehandelt, ein weiblicher ist nicht dabei. Das Feilschen um die Macht ist reines Männergeschäft, trotz der einen oder anderen Frau in den oberen Parteietagen.

Einen kleinen Farbtupfer im Einheitsgrau der Anzüge leistete sich vergangenen Dezember die „Partido por la Democracia“, PPD (Partei für die Demokratie). Die PPD, ein „instrumentales“ Bündnis aus sozialdemokratischen und sozialistischen Parteien und Fraktionen, um Pinochets Parteiengesetz zu genügen, beschloß eine Frauenquote. „Positive Aktion“ heißt das Novum und garantiert Frauen 20 Prozent aller Parteiämter und -funktionen. Nun sind 20 Prozent wahrlich wenig und genügen nicht einmal der Empfehlung der Sozialistischen Internationale gegenüber ihren Mitgliedsparteien, aber es läßt sich Politik damit machen. Die PPD kann sich nämlich rühmen, die erste Partei in Lateinamerika zu sein, die diesen Schritt wagt. Wieviel Hartnäckigkeit, List und Überzeugungskunst die Frauen jedoch diese Mickerquote gekostet hat, darüber kann Berta Belmar einen ganzen Liederkranz singen. Die 40jährige Rechtsanwältin, seit ihrem 16.Lebensjahr mit Parteipolitik vertraut, brachte nämlich vergangenes Jahr mit Mitstreiterinnen in der PPD die Quote ins Rollen. Die Frauen verlangten zunächst 40 Prozent für sich, stießen bei der Parteiführung jedoch auf Ablehnung. Frauenquote? Einfach so? In Europa hatten sich die Frauen immerhin rund 20 Jahre dafür abgestrampelt. Sollten sich die Chileninnen also erst mal ins Zeug legen. So blieb Berta Belmar und ihren Mitstreiterinnen nur die Überzeugungsarbeit „Mann für Mann“, bis sie im Dezember die Mehrheit der Partei endlich hinter sich gebracht hatten. Übrigens auch gegen die Stimmen einiger Parteifrauen, die durch die Quote den „gleichen Konkurrenzkampf“ mit den Männern herabgewürdigt sahen. Doch nach den Parteiwahlen Ende Januar diesen Jahres erfüllten sich die 20 Prozent zumindest in den oberen Rängen nur knapp. In den sechsköpfigen Parteivorstand schaffte es eine Frau - als Schatzmeisterin. In der 15köpfigen „Politischen Kommission“ sitzen drei, im 32köpfigen Zentralkomitee sieben Frauen.

Nun ist aber die PPD nur ein, wenn auch nicht unbedeutender, Faktor im Reigen der „Konzertierten Aktion“ der 17 Parteien für die Demokratie. Und das Gewicht der Christdemokratie wiegt darin schwer. Inwieweit Frauenforderungen und -fördermaßnahmen ihren Niederschlag in einem zukünftigen Regierungsprogramm finden, hängt davon ab, wieviel Druck die Frauen machen können. Zuallererst stehen jedoch Reformen des Zivil- und Strafrechts an, Fundament extremer Benachteiligung von Frauen. Das Zivilrecht datiert aus dem Jahre 1854, aus Zeiten der Agraroligarchie; entsprechend feudal sind die Machtverhältnisse geregelt. 4. Kasten

Im Eherecht gilt bis heute die „Potestad Marital“, die Vormundschaft des Mannes über Ehefrau und Kinder. Die Frau ist ihrem Mann zu Gehorsam verpflichtet und folgt ihm nach, wohin auch immer. Es sei denn, sie kann beweisen, daß ihr Leib und Leben dabei in Gefahr geraten. Sie kann zum Beispiel kein Bankkonto ohne seine Unterschrift eröffnen, keinen Prozeß führen, die Kinder nicht außer Landes bringen. Bei Gütergemeinschaft verliert sie die Verwaltung des gemeinsamen Hab und Guts. Ist sie erwerbstätig, und ihm paßt das nicht, kann er sie gerichtlich dazu zwingen, die Arbeit aufzugeben. Beim Delikt „Ehebruch“ zeigt sich das Patriarchat noch drastischer: eine Ehefrau kann dafür mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft werden. Beim Mann liegt Ehebruch erst vor, wenn er eine andere Frau als Konkubine ins gemeinsame Haus holt und damit einen Skandal hervorruft. Höchststrafe: drei Jahre und ein Tag. Wehe aber der Konkubine, auf sie warten bis zu 20 Jahre Verbannung. Ein Scheidungsrecht gibt es nicht, nur eine juristische, trickreiche „Annulierung“ der Ehe.

Diese extremen Gesetze werden heute in der Praxis nicht mehr häufig angewandt, aber sie können von Männern als Druckmittel benutzt werden. In ihrer langjährigen Praxis als Rechtsanwältin erlebt Berta Belmar immer wieder, daß Mandantinnen „aus Angst oder Unwissenheit“ sich mit diesen Gesetzen erpressen lassen und nach einer Trennung auf das Sorgerecht für ihre Kinder, auf Alimente, Vermögen oder Eigentum, verzichten.

Vor zwei Jahren setzten sich Rechts- und Sozialwissenschaftlerinnen verschiedener politischer Richtungen, von der Christdemokratie bis zur Kommunistischen Partei, zusammen, um die (Un)rechte der Frauen in Verfassung und Gesetz zu studieren. Anfang 1989 legte diese Arbeitsgruppe der Öffentlichkeit einen ersten Reformentwurf für das Ehe- und Familienrecht vor. Die politischen Kompromisse sind deutlich zu merken. Zwar wird die grundsätzliche Gleichstellung von Mann und Frau, ehelichen und unehelichen Kindern gefordert, doch im Mittelpunkt steht nach wie vor der Schutz „der Familie als grundlegender Kern der Gesellschaft“. Die soziale Realität ist eine andere: Viele Frauen mit Kindern sind ledig oder leben getrennt von ihren Ehemännern. Mit ihren Kindern sind sie allein oder leben mit neuen, häufig auch wechselnden Partnern. Diese vom Gesetz bisher gar nicht erfaßten Lebensgemeinschaften sollen nach Wunsch der Kommission mit der Ehe gleichgestellt werden. Schwer tat sich die Kommission mit der Forderung nach einem Scheidungsrecht. Noch fehlen die Reformvorschläge für das Arbeits- und Strafrecht. Ganz heikel sind dabei die Themen Gewalt, Vergewaltigung in der Ehe und Abtreibung, die verboten ist und immer wieder bestraft wird. Trotz Zehntausender illegaler Abbrüche jährlich. Aber selbst Feministinnen halten die Forderung nach freier Abtreibung unter den momentanen Verhältnissen für „politischen Selbstmord“. 5. Kasten

„Que se vaya Pinochet“ - Pinochet, hau endlich ab! Heißer Salsarhythmus dröhnt durch die offenen Fenster hinaus in die Sommernacht. Übertönt von ausgelassenen Frauenstimmen, die immer wieder diesen Refrain skandieren. Drinnen im Erdgeschoß wackelt der Fußboden; es wird geschwoft, was das Zeug hält. Santiago kurz vor dem Jahreswechsel: In der Frauenszene ist Fete angesagt. Die Feministinnen von „La Casa de la Mujer la Morada“ geben sich zur Einweihung ihres neuen Zentrums die Ehre.

Feministinnen in Chile? Ja, es gibt sie. Zwar noch nicht besonders viele, aber mit wachsendem Einfluß auf die soziale Bewegung, die sie mit ihren Ideen „infiziert“ haben. „Neue Feministinnen“ nennen sie sich, sehen sich in der Tradition ihrer Vormütter, die bereits zu Anfang des Jahrhunderts für mehr Frauenrechte stritten, soziale Einrichtungen, Clubs und Zirkel gründeten, ja sogar eine Frauenpartei und 1949 endlich das allgemeine Wahlrecht für Frauen erhielten. Nicht alle waren erklärte Feministinnen oder Sufragetten, aber alle kämpften für emanzipatorische Aspekte. Die einen mehr in Kultur und Bildung, die anderen in der Sozialpolitik oder in den Organisationen der ArbeiterInnenschaft. Ende der 40er Jahre verlor diese Bewegung allmählich ihre Unabhängigkeit, wurde je nach Strömung von den konservativen oder fortschrittlichen Parteien absorbiert. Feminismus geriet in Vergessenheit und wurde erst Ende der 70er Jahre, mitten in der tiefsten Militärdiktatur, wiederentdeckt.

1977 entsteht in Santiago die erste feministische Selbsterfahrungsgruppe aus einem Kreis von Freundinnen, die meisten Akademikerinnen und politisch links. Der Kreis dehnt sich aus, neue Gruppen entstehen. Da aber Ausnahmezustand herrscht, politische Versammlungen und Aktivitäten verboten sind, brauchen die Frauen einen institutionellen Schutz. Sie finden ihn als „Circulo de la Mujer“ (Frauenzirkel) bei einer katholischen Akademie, Zufluchtsstätte für oppositionelle Intellektuelle. 1980 unterhält der „Circulo“ bereits ein kleines Zentrum mit Archiv in Santiago. Hier wird Frauenforschung betrieben und über Feminismus diskutiert, obwohl dieser verpönte Begriff noch eine ganze Weile nicht öffentlich verwendet wird. 1982 finden in Santiago die ersten „Frauentage“ statt. Auf dem Programm stehen Themen wie Sexualität, Gewalt, geschlechtliche Arbeitsteilung, weibliche Sozialisation. Über 500 Frauen nehmen teil. Kurze Zeit später setzt der katholische Schirmherr den „Circulo“ auf die Straße, weil dessen Arbeit angeblich nicht im Einklang mit der kirchlichen Lehre steht. In einer kleinen Broschüre war die Scheidung thematisiert worden.

Mit den Nationalen Protesttagen 1983 erlebt die chilenische Volksbewegung ihren vorläufigen Höhepunkt. Die Diktatur gerät in ihre größte politische Krise. 1983 wird auch zum Aufbruchsjahr für die Frauenbewegung. Doch zunächst löst sich der „Circulo de la Mujer“ auf. Die eine Gruppe gründet das Frauenforschungszentrum CEM (Centro de Estudios de la Mujer); die andere eröffnet „La Morada“, ein Frauenaktionszentrum, unter dessen Dach verschiedene „Kollektive“ arbeiten. „La Morada“ organisiert Veranstaltungen und Seminare, macht Bildungsarbeit mit Frauen aus Armenvierteln, bietet Beratung in rechtlichen und psychologischen Fragen, unterhält eine kleine Bibliothek und bringt jede Woche eine halbstündige Radiosendung Frauen heute (Mujeres Hoy). Im gleichen Jahr ernennt sich eine andere Gruppe zur „Feministischen Bewegung“ (Movimiento Feminista, MF). Das MF mischt mit Straßenaktionen und Flugblättern in der Bewegung gegen die Diktatur mit. Zum ersten Mal taucht die Parole „Demokratie im Land und im Haus“ (Democracia en el pais y en la casa) auf, die in den kommenden Jahren zum Leitspruch der Frauenbewegung wird, manchmal auch abgewandelt zu „Demokratie im Haus und im Bett“.

6. Kasten

Gruppen wie „Movimiento Feminista“ und „La Morada“ nehmen für sich politische Autonomie in Anspruch. Aber die ist in Chile schier unmöglich. Politik heißt auch heute wieder Parteipolitik. Selbst die soziale Bewegung, die sich in den ersten Jahren nach dem Putsch weitgehend unabhängig formierte, weil die politischen Organisationen zerschlagen und führungslos im Untergrund operierten, ist heute bereits weitgehend parteipolitisch vereinnahmt. Außerdem hat der „Neue Feminismus“ starke parteipolitische Wurzeln. Die meisten seiner Urheberinnen kommen aus dem Spektrum des „renovierten Sozialismus“, der sich in den vergangenen 15 Jahren vom Marxismus-Leninismus verabschiedet hat und statt auf Klassenkampf und Diktatur des Proletariats auf einen demokratischen Sozialismus setzt, besser vielleicht: auf eine soziale Demokratie. Viele Feministinnen sind heute noch oder wieder Parteimitglieder, weil sie nicht in der Isolation steckenbleiben, sondern dort mitmischen wollen.

Ein Ministerium wünschte sich forsch Adriana Munoz. Die 40jährige Soziologin ist eine der Spitzenfrauen in der PPD und Mitgründerin des „Fraueninstituts“ (Instituto de la Mujer), einem Newcomer in der chilenischen Frauenbewegung. Eröffnet wurde es vor einem Jahr als Frauenprojektzentrum. Bisherige Arbeitsbereiche: rechtliche und psychologische Einzel- und Gruppenberatungen, Seminare und Kurse zu Themen wie Gewalt, Sexualität, Gesundheit, Beratung von Selbsthilfegruppen in Armenvierteln, rechts- und sozialwissenschaftliche Untersuchungen. Demnächst eröffnet werden soll das erste kommunale Frauenzentrum in einem der ausgedehnten Armenviertel von Santiago. Geliebäugelt wird außerdem mit einer Frauenzeitschrift, die an den Kiosken von jederfrau gekauft werden soll. Das Konzept steht, aber das Geld fehlt. Das ist das Problem, mit dem sich alle Projekte und Initiativen herumschlagen. Staatsknete gibt es selbstverständlich keine. Das „Instituto“ finanziert sich wie andere Einrichtungen auch von „Plata de fuera“, vom Geld ausländischer Entwicklungs- und Hilfsorganisationen. Das schafft ungeliebte aber unausweichliche Abhängigkeiten. Darüber wird aber nicht gern diskutiert. Doch die Gelder tröpfeln eher als sie fließen. Dabei kann sich das „Instituto“ kaum retten vor Anfragen von Gruppen, die seine Dienste gerne in Anspruch nehmen würden. Immer wieder klopfen Frauen an, die in ein laufendes Projekt mit einsteigen oder ein neues starten wollen. Aus Enthusiasmus darüber, mit und für Frauen arbeiten zu können, aber auch aus ureigenstem Interesse: sie suchen dringend einen Job. Politische Einheitsgesinnung wird nicht verlangt, eine feministische Grundhaltung jedoch erwünscht.

Ausgeheckt wurde das Projekt vor zwei Jahren von fünf Weggefährtinnen früherer Tage in der sozialistischen Bewegung. Vier von ihnen haben jahrelang im Exil gelebt, drei von ihnen in Europa, von wo sie als Feministinnen zurückkehrten. „Da setzt sich eine Handvoll Frauen zusammen, plant ein Selbsthilfeprojekt, und daraus wird eine gesellschaftliche Institution.“

Nuria Nunez, eine der Mitgründerinnen, ist nicht nur froh über „die Lawine, die wir losgetreten haben“. Mitten hinein in ein soziales Vakuum seien sie gestoßen. Diese Eigendynamik verlangt aber immer stärkere politische Einmischung und Verantwortung. Aus den kleinen überschaubaren Frauenprojekten aus West-Berlin, wo sie jahrelang gelebt hat, ist sie dies nicht gewöhnt. Gleichzeitig aber sagt sie, „bin ich mitgerissen von den laufenden Ereignissen, die uns Feministinnen den Schritt aus dem Ghetto in die formale Welt erlaubt. Um mitzumischen in der Politik“. 7. Kasten

„Politisch bin ich eine hundertprozentige Reformistin, kulturell dagegen radikal“, behauptet Maria Antonieta Saa von sich. Die 46jährige Lehrerin ist überall dabei, wo Aktionen ausgeheckt, Bündnisse geschmiedet und Frauenpolitik gemacht wird. Mitgründerin des „Circulo de la Mujer“, Initiatorin des „Movimiento Feminista“ wurde sie 1984 auch Mitglied der „Mujeres por la Vida“ (Frauen für das Leben). Ende 1983 hatten in Santiago bekannte Frauen verschiedener Parteien, Christdemokratinnen, Sozialistinnen, Kommunistinnen, zu einer Veranstaltung „Die Freiheit trägt den Namen der Frau“ in ein großes Theater eingeladen. ChronistInnen sprechen von über 12.000 Teilnehmerinnen. „Frauen heute und nicht morgen für das Leben“, hatte es im Aufruf geheißen. Die Gruppe der 16 Initiatorinnen nannte sich von da an „Frauen für das Leben“. Diese „konzertierte Aktion a la Frau“ (Maria Antonieta Saa) hatte sich zum Ziel gesetzt, die sich allmählich neu konstituierende Opposition zu einem breiten Bündnis gegen die Diktatur zu bewegen. Frauen, so gingen sie davon aus, fiel es leichter, über alle politischen Barrieren hinweg gemeinsame Sache zu machen. Mit feministischen Forderungen hatten die „Mujeres por la Vida“ zunächst nichts im Sinn. In den Jahren 1983 bis 1987 brachten sie immer wieder zahlreiche Frauen zu phantasievollen Aktionen gegen die Diktatur und für demokratische Rechte auf die Straßen. Die Polizei griff oft hart ein. Dann aber wurde ab Anfang 1987 das von Pinochet angekündigte Plebiszit zum wichtigsten Politikum. Die Opposition wurde sich in der Strategie zum Sturz der Diktatur nicht einig. Der Riß ging auch mitten durch die „Mujeres por la Vida“. Gemeinsame Aktionen beschränkten sich nur noch auf Menschenrechtsfragen. Ein gemeinsamer Aufruf zum Plebiszit kam nicht zustande. Die Gruppe verlor ihre Stimme und Mobilisierungskraft. Schade, wie Maria Antonieta Saa findet, schließlich war sie „ein wichtiges Instrument, Frauen im Demokratisierungsprozeß sichtbar zu machen“. Aber Parteiräson gehe häufig immer noch über Fraueninteressen. „Es fehlt die Komplizinnenschaft.“

„An die chilenischen Frauen“ wandte sich ein ganzseitiger Aufruf, der am 1.Juli 1988 in der Tageszeitung 'La Epoca‘ erschien. „Heute, wenn sich das ganze Land darauf vorbereitet, grundlegende Entscheidungen für seine Zukunft zu fällen, wollen wir Frauen auch ein Wort mitreden“, hieß es im Vorwort. Verfaßt hatte ihn das „Movimiento Feminista“, 23 Frauengruppen und -kollektive aus Santiago und anderen Städten hatten ihn unterschrieben. Die Feministinnen hatten ein Antidiskriminierungsprogramm formuliert: Unterzeichnung der UNO-Konvention zur Beseitigung aller Formen der Benachteiligung von Frauen, ein Frauenministerium, 30 Prozent aller Regierungsämter, 50 Prozent aller Kandidaturen für öffentliche Posten, Reform des Zivil- und Strafrechts, besserer Mutterschutz, Selbstbestimmung über den Körper, Recht auf Lohnarbeit, Umverteilung der Hausarbeit, Hausfrauenrente, gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Bis zum Plebiszit waren es nur noch drei Monate. Die „Kampagne für das Nein“ war gerade angerollt. Der Aufruf verstand sich als Einladung für alle Frauen, gemeinsam der zukünftigen demokratischen Regierung ihre Forderungen vorzulegen.

Doch die Initiative zeigte nicht den gewünschten Erfolg, wurde von den Oppositionsparteien nicht unterschrieben. „Es bildeten sich Antikörper, weil die Initiative von den Feministinnen ausging und vorher nicht mit den Parteifrauen diskutiert worden war“, weiß Maria Antonieta Saa. Dennoch hat der Vorstoß der Feministinnen die Grundlage geschaffen für die Diskussionen innerhalb der Oppositionsparteien um ein zukünftiges „Frauenprogramm“.

Maria Antonieta Saa hat selbst langjährige Parteierfahrungen hinter sich. Wie aber vertragen sich feministische Autonomie und Partei? „Meine Loyalität gehört nach wie vor den Frauen“, beeilt sie sich mit der Antwort. Aber in Chile spielten nun einmal die Parteien eine solch wichtige Rolle, „daß der Feminismus an Gewicht verliert, wenn wir keine Frauen drin haben, die für Frauenforderungen kämpfen“.

Und die Konflikte? „Die bleiben natürlich nicht aus, denn die Parteien dieses Landes sind furchtbar machistisch.“