„Kikuyu-Männer kannst du vergessen!“

■ Alleinerziehende Frauen sind in Kenia die Regel, nicht die Ausnahme / Häufig lassen sich die Ehemänner vom Verdienst der Frau aushalten / Die Geburtenkontrolle zeigt nur mickrige Erfolge / Experimente an Frauen mit „modernen“ Verhütungsmitteln

Christa Wichterich

Was, du bist ein Einzelkind. Wenn du eine Kikuyu-Frau wärst, müßtest du acht produzieren, um das zu kompensieren.“ Wanjiku und Nancy lachen sich schief über mich kinderloses altes Weib. Die beiden gehören zu den Kikuyus, der größten Bevölkerungsgruppe Kenias. Dabei wird es bei ihnen selbst auch schon höchste Zeit: 27 und noch kein Nachwuchs - das ist mehr als verdächtig. Ihre Mütter haben ihnen schon auf den Zahn gefühlt und versichert, daß sie ihnen helfen würden mit dem Kind.

Nicht verheiratet zu sein ist dagegen kein Problem für eine Kikuyu-Frau, sondern zunehmend akzeptiert. „Kikuyu-Männer, die kannst du vergessen“, sagen die beiden - die eine Journalistin, die andere Lehrerin. Diese Einschätzung teilen mit ihnen die Hausangestellte Gladys und die Bäuerin Wambui. Jede Kikuyu-Frau weiß, daß sie für ihre Kinder selbst verantwortlich ist. Im Mathare-Valley, dem größten Slum Nairobis, schätzt man die Zahl der von Frauen geführten Haushalte auf 50 bis 75 Prozent. Auf dem Land werden mindestens 40 Prozent der Felder von Frauen allein bewirtschaftet. Alleinerziehend zu sein ist für Kenianerinnen eher die Regel als die Ausnahme.

„Jeder Mann hier ist nur auf zwei Sachen scharf“, höre ich immer wieder, „er will mit dir schlafen, und er fragt, wieviel du verdienst.“ Keinen Bock haben Wanjiku und Nancy, einen Mann zu betutteln und für ihn mitverdienen zu müssen. Denn darauf läuft das Heiraten doch hinaus, meinen sie. Teenage-Schwangerschaften

In einem Punkt sind Wanjiku und Nancy Ausnahmen. Die Regel ist, daß Kikuyu-Frauen sehr früh ihr erstes Kind bekommen, nicht wenige mit 15 oder 17.

10.000 Mädchen fliegen jedes Jahr in diesem Alter wegen einer ungewollten Schwangerschaft von kenianischen Schulen. Die Hälfte aller Studentinnen müssen die Lehrer-Colleges verlassen, damit sie als Schwangere keinen „schlechten Einfluß“ ausüben.

Früher hat der Clan das Sexualverhalten seiner Mitglieder rigide kontrolliert. Großeltern oder Tante und Onkel waren für die Sexualaufklärung zuständig. Häufig fand eine ausführliche Aufklärung im Zusammenhang mit den Initiationsriten, zum Beispiel der Beschneidung statt. Die Missionare zogen gegen die Beschneidung von Mädchen bei den Kikuyus - glücklicherweise - erfolgreich zu Felde. Eine Folge davon ist jedoch auch, daß viele Schülerinnen heute unaufgeklärt in Schwangerschaften stolpern. In den Sekundarschulen, die meist Internate sind, lassen sie sich von den Mitschülern weismachen, sie könnten ihnen dabei helfen, eine „richtige Frau“ zu werden. Und eine „richtige Frau“ werden, das wollen sie alle. Außerdem, so stellte gerade die Soziologin Wangoi Njau fest, haben die Mädchen in ihrer gesamten Sozialisation gelernt, daß frau Männern zu gehorchen hat. Die jungen Väter erzählten Wangoi stolz, daß „Liebe“ das Zauberwort ist, das jeden weiblichen Widerstand bricht.

Die meisten Teenage-Mütter kommen allerdings aus unteren sozialen Schichten. Nicht Gleichaltrige, sondern Sugar Daddies sind oft die Väter. Sugar Daddies sind ältere Männer, die sich in ihrem vermeintlich zweiten oder dritten Frühling mit Freundinnen im Alter ihrer Töchter schmücken und sie mit kleinen Geschenken entlohnen. Auch Lehrer mißbrauchen nicht selten ihre Machtposition.

Viele der kindlich Schwangeren sind, trotz aller Begeisterung für die Mutterschaft, völlig verzweifelt: Schule oder Ausbildung fortzusetzen ist schier unmöglich, Abtreibung ist illegal, Mutter oder Schwester wollen das Kind zwar mitversorgen, aber fordern dafür einen Beitrag zum Familieneinkommen. Für manche ist das der Einstieg in die Prostitution. Und in den Zeitungen liest man regelmäßig von ausgesetzten oder tot aufgefundenen Neugeborenen. Etwa ein Drittel aller nach einer verpfuschten Abtreibung in Krankenhäuser eingelieferten Patientinnen sind jünger als 19.

Derweil streiten Erziehungswissenschaftler und Kirchenvertreter seit Jahren darüber, ob Teenager mit Verhütungsmitteln versorgt werden sollen. Ein Freibrief zu Unmoral und freier Sexualität, schreien die einen. Keine Lösung des Problems, sagen die anderen, wenn die Erwachsenen den Jugendlichen in den Städten soviel unverantwortliche Sexualität vorleben, wie kann man von ihnen etwas anderes erwartemn? Bei einer jährlichen Wachstumsrate von 3,8 Prozent kann sich das Land soviel ungewollte Babys nicht leisten, argumentiert die dritte Fraktion. Langes Stillen

oder Dreimonatsspritze

Die Statistiken zeigen einen Anstieg der Geburtenzahl pro Frau von 5,3 im Jahre 1962 auf 7,9 im Jahre 1979 (1984: 7,7). Die größere Fruchtbarkeit läßt sich vor allem darauf zurückführen, daß Polygynie und traditionelle Methoden der Geburtenkontrolle wie mehrjähriges Stillen und damit verbunden lange Phasen sexueller Abstinenz immer seltener werden. Seit zwanzig Jahren versuchen staatliche und nichtstaatliche Institutionen die Kenianer vom Segen kleiner Familien zu überzeugen: mit äußerst mickrigem Erfolg. 1988 kontrollierten nur 550.000 KenianerInnen ihre Fortpflanzung. Bislang wurde darauf verzichtet, mit Anreizen und Prämien zur Verhütung zu moitivieren und damit die Erfolgszahlen (sowie Betrug und Korruption) künstlich hochzutreiben.

Wie überall setzt man jedoch auf die modernen Verhütungsmittel. Traditionelle Methoden werden kaum ermutigt. Die am häufigsten benutzten modernen Verhütungsmittel sind die Pille, die Spirale und die Dreimonatsspritze „Depo-Provera“. Die heftige Kritik an der Depotspritze wurde vor zwei Jahren als „grundlos“ ad acta gelegt.

Kürzlich feierte die gesamte Presse das Ergebnis einer Versuchsreihe mit „Norplant“ als großen Durchbruch. Prof. Mati von der Universität Nairobi, der kenianische Verhütungspapst, jubilierte, daß sich die in die Armbeuge eingepflanzten Silikonkapseln als „effektiv“ erwiesen hätten. Zwar klagten 96 Prozent der Versuchsfrauen über schwere „Nebenwirkungen“, vor allem Zyklusstörungen, trotzdem wurde verkündet, der Tag eines massenhaften Einsatzes von Norplant sei nicht mehr allzu fern.

Die Propagandisten moderner Kontrazeptiva behaupten einen rasanten Anstieg verhütender Paare: 100.000 neue Benutzer pro Jahr. Zuverlässige Zahlen gibt es jedoch zur Zeit keine. Von dem im kommenden August anstehenden Zensus erhofft man die Bestätigung.

Und sollte die ausbleiben, so sind bereits jetzt die Schuldigen identifiziert: die Frauen sind's mal wieder, verkündete ein Expertenseminar in Nairobi unlängst. Die Männer sind gar nicht, wie sonst immer angenommen wird, gegen Familienplanung. Nein, die Frauen widersetzen sich, vor allem die, die noch keinen oder erst einen Sohn geboren haben. Denn Söhne, so hoffen sie, binden die Väter an die Familie.

Außerdem ist die kollektive Erinnerung der Frauen an die hohe Kindersterblichkeit immer noch wach, auch wenn sie in den letzten zehn Jahren von 120 auf 86 von 1.000 gesenkt wurde. Sie sorgen für eine „Überproduktion“ als Gegenwehr gegen die Killerkrankheiten Malaria, Masern und Meningitis. Wenig Land, viele Kinder

Bevölkerungswissenschaftler hoffen, daß die täglich spürbare Verknappung von fruchtbarem Land die gewünschte Erleuchtung über die Notwendigkeit kleiner Familien bringen würde. Nur ein Viertel der Gesamtfläche Kenias ist landwirtschaftlich nutzbar. Doch Studien in Gebieten, wo der Landbesitz pro Familie bereits so geschrumpft ist, daß die Felder nicht mehr alle Familienmitglieder ernähren, zeigen, daß eine kleine Kinderzahl nicht direkt als Lösung des Problems gesehen wird. Kinder werden eher als ökonomische Ent- denn als Belastung betrachtet. Die Familien setzen auf ein Mischeinkommen als Überlebensstrategie: auf dem eigenen Stück Land, der Shamba, wird für den Eigenbedarf und für den Verkauf angebaut, dazu müssen noch Geldeinkünfte aus Jobs in den Städten fließen. Eine solch diversifizierte Einkommensplanung erfordert mehrere Arbeitskräfte - also eine große Familie.

Besonders für die Frauen, die ohne Mann auf der Shamba zurückbleiben, sind Kinder eine dringend benötigte Hilfe, beim Jäten, beim Holzsuchen oder Wasserschleppen. Und erst recht für die, die kein Land mehr haben und in einem der elenden Slums von Nairobi leben, wo Halbwüchsige als Bettler, Schuhputzer, Parkingboys oder Kindermädchen ein paar Shillinge verdienen. So ist eine Kinderzahl von acht auf dem Land nicht ungewöhnlich, in Mathare Valley sogar zehn.

Seit ein paar Jahren bringen allerdings die rapide steigenden Schulgelder die Kinderreichen zur Verzweiflung. In nichts investieren die Frauen so willig, wie in die Ausbildung ihrer Kinder. Sie legen sich krumm, um Schulbücher und Uniformen zu kaufen und ihr Scherflein dazu beizutragen, daß die Schule einen Physikraum bauen und einen Bunsenbrenner anschaffen kann. Denn nur eine gute Ausbildung eröffnet Aussichten auf einen guten Job. Doch für viele ist es nicht zu schaffen: die Kinder werden gefeuert, egal ob gute oder schlechte Noten, wenn die Mutter das Schulgeld nicht mehr zusammenbringt. Ob das hohe Schulgeld nicht nur der Hebel zur härteren sozialen Auslese im Bildungssystem, sondern auch zur Kontrolle der Fortpflanzung wird, bleibt abzuwarten. Lebens-Produktion

Doch der Kinderwunsch der Kenianerinnen geht keineswegs nur in wirtschaftlichen Kosten-Nutzen-rechnungen auf. Zeugen und Gebären - das ist die „Produktion“ schlechthin. Nicht zu „produzieren“, kein Kind zu haben, können sich auch Wanjiku und Nancy nicht vorstellen. Kinder sind die Garantie, daß man weiterlebt und nicht vergessen wird. Tote wurden früher immer auf der eigenen Shamba begraben, Kinderlose jedoch von einigen Volksgruppen den wilden Tieren überlassen. Wenn sie heutzutage beerdigt werden, stehen ihnen nur die Riten zu, die für ein Kind vorgesehen sind. Wer kein Kind hat, ist eigentlich nicht erwachsen. Keine Ehe darf kinderlos bleiben: entweder nimmt der Mann sich eine zweite Frau oder sein Bruder zeugt Nachkommen mit seiner Frau - das sind auch heute noch die gesellschaftlich akzeptierten Umschiffungen des Unfruchtbarkeitsproblems.

Wie Wanjikus und Nancys Lebensplanung aussieht: Kinder auf jeden Fall! Aber bei Freundinnen kritisieren sie, daß die Kinder keinen Vater, dafür aber ständig neue „Onkels“ haben. Oder, lacht Wanjiku, später die zweite Frau, eines alten reichen Knackers werden, der einem ein Häuschen und ein Auto hinstellt und bald keine Ansprüche mehr hat. Ein Scherz, und doch nicht ganz unernst.