„Der Jüngling ist schön“

■ Mit der Bronze-Plastik „Jüngling“, die seit 1955 wieder in den Wallanlagen steht, feierten die Nazis 1936 die Niederschlagung der Bremer Räterepublik / Erinnerung an die Geschichte eines Kunstwerkes - gegen die Tradition des Verschweigens

Seit 34 Jahren steht in den Bremer Wallanlagen ein Bronze -Jüng- ling, ohne Erklärung, scheinbar wertfrei schön. Seit dem vergangenen Sonntag deutet eine auf der Rasenfläche davor plazierte Texttafel an, für welche Geschichte diese Männer -Skulptur aufgestellt wurde: „Für die Gefallenen der Division Gerstenberg.“ Diese Stelltafel soll - im Zusammenhang des Lidice-Denkmals (vgl. taz 8.5.) - eine Klarstellung nachholen, aber eigentlich verharmlost sie die Bedeutung der Skulptur weiterhin. „Hier ist das Ehren- und Mahnmal für die Freiheitskämpfer des 4. Februar 1919 errichtet...“ (das heißt: für die, die die Bremer Räterepublik blutig niedergeschlagen haben),

schrieben die Bremer Nachrichten anläßlich der Einweihung der Skulptur 1936.

Hitler-Danktelegramm

Am 6.10.1933, ein halbes Jahr nach der Machtergreifung der Nazis, hatte der Bremer Senat das Ehrenmal für alle im ersten Weltkrieg gefallenen Bremer auf der Altmannshöhe beschlossen. Ein weiteres Denkmal sollte diejenigen ehren, die die Bremer Räterepublik niedergeschlagen haben: die Division Gerstenberg und das Freikorps Caspari. Ein Angehöriger des Freicorps hatte dafür Geld gegeben. Arische Bildhauer und Architekten wurden aufgefordert, Entwürfe einzureichen. Ausgewählt wurde der Bronze

Jüngling des Bremer Bildhauers Herbert Kubica.

Bei der Einweihung der Skulptur, die damals zwischen Rathaus und Liebfrauenkirche aufgestellt

wurde, waren Vertreter der NSDAP, des bremischen Senats und der Wehrmacht anwesend, des weiteren eine Ehrenkompanie der Bremer Schutzpolizei und na

türlich „Freiheitskämpfer“ der Division Gerstenberg und des Freikorps Caspari. Das Nazi-Blatt „Bremer Zeitung“ erinnert an die „roten Horden“, das Ehrenmal steht für die vierundzwanzig im Kampf um Bremens „Befreiung vom Joch der Spartakisten“ Gefallenen. Schließlich wurde sogar dem „Führer“ persönlich „telegraphisch das Treuegelöbnis der versammelten Mitkämpfer übermittelt“ (Bremer Zeitung, 11.10.36), der seinerseits mit einem Dank-Telegramm antwortete.

Die „Bremer Nachrichten“ berichten einen Tag später im gleichen Tenor. Gemäß dem Leitgedanken „Es ist nicht nötig, daß ich lebe, sondern daß ich meine Pflicht tue!“ hätten diese 24 „klarsehenden Bremer Männer“ gehandelt, indem sie Ende Januar 1919 einen „ersten Waffenschlag gegen die Bolschewisten“ wagten und dabei ums Leben kamen. Ausführlich berichtet die Zeitung über die Rede Casparis. Die Räterepublik habe „tausende von Arbeitern mit Gewalt an der Arbeit gehindert“, das Ausland habe „unsere ehrwürdige, stolze Hansestadt als Hochburg bolschewistischen Terrors geächtet“. (Bremer Nachrichten 12.10.1936). Wenige Jahre später mußte die Bronze-Skulptur in den Kellern der Kunsthalle eingebunkert werden, sie sollte den Krieg überdauern.

Die Denkmäler aus der nationalsozialistischen Zeit sind „sämtlich entfernt worden“, steht in einem 1952 erschienenen Nachschlagewerk über „Bremen

und seine Bauten“. Am 7. November 1955 steht eine kleine Notiz im Weserkurier: „Kräftige Männerfäuste schoben Sonnabend morgen Am Wall zwischen Polizeihaus und Theaterburg eine überlebensgroße Bronzeplastik vom Lastwagen.“ Auf dem darüber abgebildeten Foto unverkennbar der „Jüngling“. Die Zeitung erklärte zu dem Vorgang nur, der Bildhauer Herbert Kubica habe die Skulptur „vor zwanzig Jahren anläßlich eines Wettbewerbs“ geschaffen. Mehr nicht, mehr auch nicht in den Bremer Nachrichten des Jahres 1955.

„Michelangelesk“

Die Bremer Nachrichten, die 1936 die Nazi-Feierlichkeit so ausführlich berichteten, kennen 1972 anläßlich des Todes von Herbert Kubica nur noch den Künstler und loben das „Ehrenmal“ für seine „antike, aber auch michelangeleske Tradition“.

Seit einer Woche stellt das Lidice-Mahnmal den Helden-Jüng

ling in den Kontext des Grauens, in das die deutsche Helden -Geschichte geführt hat. In der Linie des Verschweigens umschreibt der Weser Kurier (8.5.89) den eindeutigen Sinngehalt des „Ehrenmals“ so: „Der Jüngling ist schön aber in seinem Sinngehalt mehr als umstrittenen.“

Die Stelltafel der Lidice-Initiative erklärt den Spaziergängern in den Wallanlagen nicht, daß die Nazis mit der Skulptur ganz direkt die Niederschlagung der Bremer Räterepublik feierten.

M.D.