Wieder im Kino: Mean streets

■ New York, Upper East Side

Ich wollte eine Geschichte eines modernen Heiligen drehen, eines Heiligen in seiner Gesellschaft, nur: die Gesellschaft besteht aus Gangstern. (M. Scorsese).

Charlie heißt der moderne Heilige in Scorseses main streets, der Franz von Assisi nacheifert, er wohnt in New Yorks Lower East Side, in Little Italy, wie die New Yorker sagen. Es gibt Bars und Kneipen, Restaurants und Schlägereien, Betrügereien, krumme Geschäfte, kleine Deals: eine ganz und gar nicht heilige Welt, in der Charlie oft Zwiesprache mit seinem Gott halten muß, um auf dem rechten Weg zu bleiben. Charlie (Harvey Keitel), Tony (David Proval), Johnny-Boy (der junge Robert de Niro): drei Freunde, die in main streets wie Pech und Schwefel zusammenhalten - komme was da wolle.

Vor allem mit Johnny-Boy aber hat Charlie seine Mühe: Johnny kommt tänzelnd eine Straße entlang, bleibt vor einer mail box stehen, wirft etwas hinein und läuft grinsend davon: Die mail-box geht in die Luft. Von diesen Späßchen hat Johnny noch einige auf Lager, er ist ein Kobold, den niemand ernst nehmen kann, der sich Geld von allen leiht, es aber niemals zurückzahlt, weil er Arbeit verachtet. So ist er ständig auf der Flucht vor seinen Gläubigern, vor allem vor Michael, der keinen Zweifel darüber aufkommen läßt, daß er sein Geld mit aller Gewalt eintreiben will. Er setzt eine Frist - nur wer zu dem Termin nicht erscheint ist natürlich Johnny.

Der hat anderes zu tun: Sich zum Beispiel auf das Dach von Charlies Haus zu stellen und wild in die Gegend zu schießen

-oder sich mit den Leuten von Joeys Billardsaloon herumzuprügeln, weil er wieder einmal sein Maul nicht halten konnte. Charlie muß oft seinen Kopf für Johnny herhalten, doch Geld hat auch er nicht.

Martin Scorseses früher Film (Uraufführung 1973 anläßlich des New York Film Festivals), der jetzt noch einmal in der Schauburg zu sehen ist, (glücklicherweise in der Originalfassung mit deutschen Untertiteln) ist vor allem eine Milieustudie über die Jungs in der Upper East Side: Scorsese kennt diese Gegend und ihre Leute wie seine Westentasche, er ist hier aufgewachsen. Er weiß, daß hier Leute für nichts erschossen werden, so wie in Tonys Kneipe: Ein Betrunkener torkelt aufs Klo, ein junger Mann folgt ihm, beobachtet ihn eine Weile, löst dann sein Haar und schießt. „Mein Sohn hat ihn getötet, weil der Besoffene einen wichtigen Mann beleidigt hat“, lautet der Kommentar des Vaters.

Eine verrückte Welt. In der es immer gefährlicher für Johnny wird. Die 2000 Dollar, die er Michael schuldet, kriegt er nicht zusammen, er gibt sich auch keine Mühe. Als Michael ihn schließlich zur Rede stellt, wird er von Johnny provoziert. Auf der Flucht vor der drohenen Vergeltung werden Charlie, Teresa (Johnny Cousine und Charlies Geliebte) und Johnny angeschossen. Das Ende bleibt offen.

gin

Schauburg, 23 Uhr