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Heftiger Streit um die Sicherheit der Genlabors

Eine Verwaltungsvorschrift zur Abwasserbehandlung wird zur Machtprobe zwischen Gentec-Industrie und Gesetzgebern / Mit Totschlagargumenten versucht die Industrie eine lockere Vorschrift zu erzwingen / Heftige Polemik gegen den „typisch deutschen“ Regelungsbedarf  ■  Von Horst Buchwald

In der Gentechnik ist die Gesetzgebung in die entscheidende Phase getreten. Neben dem Gentechnik-Schutzgesetz (Stammgesetz) ist auch im Streit um eine Verwaltungsvorschrift (VwV) zur Behandlung der Abwässer aus den Genlabors jetzt offensichtlich die letzte Runde eingeläutet worden. Ende April ging im Bonner Umweltministerium (BMU) der Vorschlag für einen VwV-Entwurf aus dem Bundesgesundheitsamt (BGA) ein. Dort wird jetzt die Endfassung vorbereitet. Auf das Ergebnis darf man gespannt sein. Schließlich drängen Chemie- und Pharmaindustrie schon seit längerem unerbittlich darauf, daß eine Verwaltungsvorschrift herauskommt, die vor allem ihren Vorstellungen entspricht.

Eingeleitet wurde die Erarbeitung mit einem umfangreichen Fragenkatalog, den das BMU schon am 22. Januar 1987 der Zentralen Kommission für Biologische Sicherheit (ZKBS) beim Bundesgesundheitsamt übersandte. Darin wollte man unter anderem wissen: „Wie lassen sich (gentechnisch veränderte) freigesetzte Mikroorganismen ggf. zurückholen?“ Oder: „Wie kann ggf. der Beweis des vollständigen Aussterbens eines Mikroorganismus in der Umwelt erbracht werden?“ Gute Fragen.

Am 22. September wurde der erste Entwurf der VwV präsentiert. Verfasser war Prof. Jürgen Hahn vom BGA. Tenor: Von den Genlabors wird die vollständige Inaktivierung von „Kulturflüssigkeiten und Aufarbeitungsrückständen, die lebende Mikroorganismen und/oder Vektoren mit biologisch aktiven rekombinanten Nukleinsäuren enthalten“, verlangt. Und zwar durch „anerkannte chemische oder physikalische Methoden“. Auf deutsch: Wer mit Viren, Pilzen, Bakterien und anderem Material in den Gen-Labors experimentiert, muß auch für die vollständige Abtötung dieser Organismen sorgen. Eine Selbstverständlichkeit?

Schon am 30. Oktober 1987 reagierte der Chemie-Multi Hoechst. In einem Brief an den „Herrn Ministerialdirektor Ruchay“ im BMU wurden „schwerste Bedenken“ gegen den Entwurf erhoben. Abgelehnt wurde, daß generell alle Abwässer aus Laboratorien und Produktionsstätten im Bereich der Gentechnik als gefährliche Abwasser deklariert werden. „Unverständlich“ war auch die zusätzliche Forderung, die nach Abtötung verbleibenden Nukleinsäuren zusätzlich thermetisch bei 120 Grad Celsius 20 Minuten zu denaturieren. Es sei nämlich „keinerlei Mechanismus dafür bekannt, daß von freien Nukleinsäuren ... irgendwelche Wirkungen bzw. biologische Aktivitäten ausgehen könnten“. In keinem anderen Land werde derartiges gefordert. Schließlich: würde die thermische Abwasserbehandlung in der Bundesrepublik zur Auflage gemacht, entstünden „erhebliche Wettbewerbsverzerrungen“, die den „bereits jetzt benachteiligten Standort Bundesrepublik für solche Produktionen unwirtschaftlich machen würden“. Gefährdet sei vor allem die Antibiotika-Herstellung und damit allein bei Hoechst 1.000 Arbeitsplätze.

Damit waren alle Totschlagargumente beisammen, die von Unternehmen in der Regel aufgefahren werden, wenn es darum geht, einseitige Wettbewerbsvorteile auf Kosten der Gesellschaft und der Umwelt durchzudrücken. Dennoch: Bisher blieb das BGA bei seiner Linie. Auch im 2. Entwurf vom 1. Juni 1988 wird noch die vollständige Inaktivierung verlangt. Einen kleinen Erfolg konnten die Chemie-Manager dennoch verbuchen. Nach einem Gespräch mit dem Vorsitzenden des DECHEMA-Fachausschusses „Biotechnologie“ (in dem vor allem Industriebiologen sitzen), Prof. W. Frommer von Bayer und anderen Industrievertretern über den 2. Entwurf notierte Ministerialdirektor Ruchay im Juni 1988 ein Zugeständnis. Das Umweltministerium wolle eine „begrenzte“ Liste ungefährlicher Produkte als Ausnahme eventuell in die VwV aufnehmen.

Bei den Ausnahmen hatten die Industrievertreter vor allem die Stoffe der Risikogruppe I* im Auge. Jürgen Hahn dazu: Eine Ausnahme werde nur dann zugelassen, wenn sie im Einzelfall geprüft wurde. Doch dazu sei ein Kriterienkatalog erforderlich. Geprüft werden müsse, wie lang die Überlebenszeiten sind, unter welchen Bedingungen es Überlebenszeiten gebe usw.

Der Verband der Chemischen Industrie (VCI) sieht das aber ganz anders. Am 16. August 1988 erhält Ministerialrat Hornef im BMU eine entsprechende Kritik und den Hinweis, die Praxis in den USA zeige, daß man dort „schon seit einem Jahr dazu übergegangen sei, gentechnisch veränderte Mikroorganismen genauso zu behandeln, wie die unveränderten Ausgangsmechanismen“. Wohin der VCI zielt, ist damit deutlich geworden.

Am 3. Oktober 1988 setzt Boehringer Mannheim GmbH bei der SPD-Fraktion an. Auch in diesem Schreiben wird verlangt, die Risikogruppe I aus der VwV auszunehmen. In den meisten Anrainerstaaten sowie innerhalb der EG gebe es „überhaupt keine Regelungen, höchstens rudimentäre Empfehlungen“. Und erneut wird die Praxis in den USA als vorbildlich dargestellt. Daß dann auch der „höchst bedenkliche Wettbewerbsanteil“ hinterhergeschoben wird, überrascht schon nicht mehr. Neu ist allerdings die Behauptung, die scientific community belächle das „Regelungsbedürfnis als typisch deutsch“ und es müsse mit der Abwanderung von Forschungs- und Produktionsaktivitäten einschließlich der wissenschaftlichen Spitzenkräfte gerechnet werden. Auch diese Klagen belegen nur die altbekannte engstirnige Sichtweise: Umweltschutz muß dem Marktvorteil weichen. Die Chemie- und Pharmaindustrie hat also gehörig die Muskeln spielen lassen. Nun fragt sich, wie Bundesumweltminister Töpfer entscheidet.

* Definition: Fehlendes oder geringes Risiko für die Beschäftigten, die Bevölkerung oder Haustiere, zum Beispiel nicht pathogene Viren und Bakterienstämme.

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