Plastikfutter aus der Euro-Küche

■ Die Aufhebung des Imitationsverbots bringt Kunstkäse und Pseudobutter auf den bundesdeutschen Markt / Verheerende Folgen für Landwirtschaft befürchtet / Kiechle und Bauernverband kritisieren das Urteil

Berlin (taz) - Nach Bier, Fleisch und Wurst jetzt auch Milch und Milchprodukte: der Europäische Gerichtshof hat am Donnerstag das Verbot für sogenannte Milchimitate gekippt. Zum dritten Mal innerhalb von zwei Jahren ist damit das bundesdeutsche Lebensmittelrecht durch die EG ausgehebelt worden.

Nach der Luxemburger Entscheidung dürfen künftig auch bei uns Kunstkäse, Butterimitate, pflanzlicher Kaffeeweißer und ähnliche Imitate verkauft werden. Der Paragraph 36 des Milchgesetzes, der seit 1930 das Nachmachen und Verfälschen von Milch und Milchprodukten verbietet, ist damit faktisch außer Kraft gesetzt. Für die EG-Kommission, die den Prozeß vor dem Europäischen Gerichtshof angestrengt hatte, gefährdet das deutsche Imitationsverbot den freien Warenverkehr. Dem schlossen sich nun auch die Richter an und gaben grünes Licht für das neue Euro-Plastikfutter auf dem bundesdeutschen Markt. Milchimitate unterscheiden sich von „echten“ Produkten durch den pflanzlichen Fettanteil. Das relativ teure Milchfett wird durch das vier- bis fünfmal billigere Sojaöl ersetzt, ebenso das Milcheiweiß durch Pflanzeneiweiß. In Großbritannien, dem Vorreiterland für Imitate, ist der Anteil der echten Butter als Streichfett bereits auf 30 Prozent gesunken. Hier sind vor allem Mischprodukte, die von Food-Designern aus Milch- und Pflanzenfett zusammen mit Emulgatoren, Farb- und Geschmacksstoffen komponiert wurden, auf dem Vormarsch. Die britischen und französischen Molkereikonzerne dürfen mit diesen Imitaten jetzt auch auf den bundesdeutschen Markt.

Ob sie sich dort durchsetzen können, scheint eher eine Frage der Zeit zu sein. In den USA haben Butterimitate bereits einen Marktanteil von 75 Prozent. Selbst in Frankreich werden 80 Prozent des Pizzakäses in den Fast-Food -Läden durch Kunstkäse bestritten.

Die Imitate werden vor allem auf der Gesundheitsschiene angeboten. Neben „guter Streichfähigkeit“ und einem exakt auf den Verbrauchergaumen hingetrimmten Geschmack wird der geringere Fett-, Kalorien- und Cholesteringehalt der Produkte herausgestellt.

Der deutsche Bauernverband bezeichnete das Luxemburger Urteil als „eine Entscheidung gegen Qualität, Verbraucherschutz und lauteren Wettbewerb bei Lebensmitteln“. Landwirtschaftsminister Kiechle kündigte „eindeutige“ Vorschriften zur Kennzeichnung der Imitate an.

Für die Bauern könnten die Konsequenzen der Freigabe für Imitate verheerend sein. Andrea Fink, Wissenschaftlerin an der Gesamthochschule Kassel, hat für die Bauernopposition die Folgen hochgerechnet. Geht man von den Prognosen des Kiechle-Ministeriums aus, könnten durch die Imitate jährlich sechs Millionen Tonnen Milch auf dem Markt überschüssig werden, andere Schätzungen des Milchindustrieverbands gehen sogar von zehn Millionen Tonnen aus. Damit würden rund zehn Prozent der erzeugten Milch überflüssig werden, weitere 70.000 bis 120.000 kleine und mittlere bäuerliche Milchviehbetriebe müßten kapitulieren.

Die traditionell schlafmützige Arbeitsgemeinschaft der Verbraucher begrüßte gestern das Luxemburger Urteil und wies auf die gesundheitlichen Vorteile der fett- und cholesterinarmen Kunstprodukte hin. A. Fink hält dem entgegen, daß Soja als Eiweiß und Fettkomponente in einem mehrstufigen industriellen Prozeß vollständig verändert und denaturiert werde und nur zusammen mit einer Unzahl von Geschmacks-, Aroma-, Farb- und Konservierungsstoffen, Stabilisatoren und Emulgatoren zu „Milch„produkten verarbeitet werden könne.

Manfred Kriener