Ganz Berlin ist ein Museum

Standort statt Standpunkt?  ■ K O M M E N T A R

Wo bitte gehts zur Deutschen Geschichte? Vor dem Reichstag oder zwischen Kunstgewerbemuseum und Lenne-Biotop? Man muß wohl Bausenator sein, um mit der Diskussion über den Standort die über den Standpunkt vorwegnehmen zu wollen. Ist der Bauplatz erst einmal gefunden, das Haus gebaut, wird sich schon Inhalt dafür finden. Aber lehrt nicht gerade die historische Topographie des „zentralen Bereichs“, wie verblüffend schnell selbst Weltmachtzentren zur Wiese werden können? Das Verwahren historischer Erfahrung in Gebäuden, zumal in Neubauten, erscheint nicht nur unter diesem Aspekt riskant. Sicherer, wenn auch nicht ruhiger, wäre sie vielleicht in den Köpfen und im Alltag möglichst vieler Menschen aufbewahrt. Ließen sich die Peinlichkeit und der Zwang zur Großartigkeit vielleicht gerade durch Verzicht auf einen Standort überwinden?

Stellen wir uns vor: Die Geschichte käme uns an jeder Straßenecke entgegen, nirgends wären Touristen wie Eingeborene vor ihr sicher, die ganze Stadt durchzöge eine Art historischer Waldlehrpfand, hier ein Hinweis darauf was hier früher einmal stand, da eine Kellerwohnung, dort eine Belle Etage, in der sich Lebens- und Denkweisen vermitteln lassen. An geeigneten Fabriketagen würde es in dieser Stadt so wenig fehlen wie an „historischen Plätzen“ im konventionellen Sinne. Dutzende von Arbeitsgruppen Interessierter und Bewanderter könnten sich einzelner Fragen und Aspekte der deutschen Geschichte annehmen und darum bemühen, all diese Einzelteile, als die uns Geschichte ja entgegenkommt, zusammenzufügen. Die Darstellung der Geschichte als selbstverständlich höchst kontroverses Projekt vieler erscheint in jeder Hinsicht spannender, lehrreicher und vor allen Dingen weniger monströs als irgend ein gigantischer Bau. Geld scheint genügend vorhanden, Interesse ließe sich ganz ohne Zweifel finden, nicht nur in West-Berlin, und statt eines Standort-Streites hätten wir die schönsten Standpunkt-Diskussionen über Jahre. Und noch etwas: „Das Museum“ könnte sich entwickeln, statt zum steinernen Symbol zu erstarren.

Benny Härlin