Die nächste Nachrüstung kommt

Pentagon plant die Stationierung luftgestützter Mittelstreckenraketen als Ersatz für die Pershing II / Sowjets fürchten Aushöhlung des INF-Vertrages und beraten neue Abrüstungsinitiative / Stationierungsorte geheim/  ■  Aus Hamburg Andreas Orth

Noch bevor der Nato-interne Konflikt um die Modernisierung der Kurzstreckenrakete Lance beigelegt ist, steht den Nato -Staaten eine neue Debatte über amerikanische Nachrüstungs -Pläne ins Haus: Die US-Air Force bereitet die Stationierung neuer luftgestützter Mittelstreckenwaffen in Europa vor, die den im vergangenen Jahr geschlossenen INF-Vertrag zur Abrüstung der Pershing-Raketen praktisch aushöhlen würde. Dies geht aus den Etat-Ansätzen des Pentagon für die Jahre 1990/91 hervor. Dort sind Finanzmittel in Höhe von 28,3 Millionen Dollar für den Ausbau einer Basis zur Stationierung von Kampfbombern des Typs F15 E vorgesehen. Das erst in diesem Jahr an Trainingseinheiten erstmals ausgelieferte Flugzeug ist vor allem dafür gedacht, um aus der Luft Nuklearraketen mit mehreren hundert Kilometer Reichweite abzufeuern. Diese Waffen fallen im Gegensatz zu den Pershing II-Raketen nicht unter den INF-Vertrag, könnten im strategischen Konzept der Nato dennoch den gleichen Zweck erfüllen. Nach dem Start könnten die Kampfbomber, von westdeutschen Flughäfen aus, ihre Raketen bis in die westliche Sowjetunion schießen.

Gelder für die Konstruktion des neuartigen Waffensystems (Tactical Air to Surface Missiles, TASM) sind bereits im US -Haushalt für 1990 beantragt. Schon Reagans Verteidigungsminister Franc Carlucci hatte die Entwicklung der TASM-Raketen als Reaktion auf den INF-Vertrag bezeichnet. Wörtlich heißt es in dem von ihm unterzeichneten Bericht, daß „die neuen Anforderungen erfüllt werden müssen, die sich aus dem INF-Vertrag ergeben. Eine luftgestützte Nuklear-Rakete wird die effektive Reichweite zahlreicher Nato-Flugzeuge entsprechend verbessern.“ Zugleich heißt es auch in einem dem Kongress zugeleiteten geheimen Nato-Plan zur Modernisierung der Nuklear-Waffen, daß das TASM-System „höchste Priorität“ habe.

Die geplanten Stationierungsorte versuchen die Nato-Militärs jedoch bisher geheim zu halten. So hieß es zwar in Fachzeitschriften, daß die US-Luftwaffenbasis in Bitburg für die neue Bomberflotte besonders geeignet sei. Doch deren Kommandant Jeffrey Cliver behauptete, er wisse „von nichts“. Einen Hinweis darauf, von wo die „strike eagle“ (Adler) genannten Bomber aufsteigen sollen, gaben dafür die Mitarbeiter der PR-Abteilung des Hersteller-Konzerns McDonnell Aircraft. In einem Werbe-Faltblatt für ihr neues Produkt kreuzten sie auf einer Deutschland-Karte die bisherigen Standorte der Pershing-Basen aus, und malten stattdessen schematisch die Flugroute eines F15-Bombers hinein, der von einer Basis in Süddeutschland bis nach Polen fliegt und dort - gekennzeichnet durch einen schlichten Pfeil - seine TASM-Rakete in die Sowjetunion abfeuert. Dies sei, kommentierten die Rüstungsfreunde, „the best solution for post INF deterence“, die beste Lösung für die Abschreckung nach dem INF-Abkommen.

Trotzdem erklärte das Bonner Verteidigungsministerium, daß es keine „konkreten Planungen zur Stationierung von zum nuklearen Einsatz befähigten Kampfbombern in Bitburg“ gebe.

Dagegen scheinen die Militär-Planer im Kreml die neue amerikanische Drohung durchaus ernst zu nehmen. So groß sei die Besorgnis über die TASM-Pläne, berichtete ein Gorbatschow-Vertrauter, daß schon erwogen werde, lieber die umstrittene Modernisierung der Lance-Raketen in Kauf zu nehmen und stattdessen den USA den beiderseitigen Verzicht auf alle luftgestützten Nuklearwaffen vorzuschlagen.