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Nagel ohne Kopf

■ Bausenator Nagel will Deutsches Historisches Museum an den Potsdamer Platz setzen / Proteste von AL und Umweltsenatorin Schreyer gegen Alleingang

Und wieder streckte einer die Hand aus, und siehe: da kommt es hin, das Deutsche Historische Museum - nur daß diesmal nicht Helmut Kohl am Fenster des Reichstags stand, sondern SPD-Bausenator Wolfgang Nagel an einem Zaun am Potsdamer Platz zwischen Staatsbibliothek und zukünftigem Filmhaus. Denn gestern ließ der koalitionäre Alleingänger mit einem Pulk von Journalisten im Schlepptau dortselbst die Katze aus dem Sack und verkündete seinen neuen Standort für das DHM. Großzügig nannte er sogar noch eine zusätzliche Auswegmöglichkeit am Lenne-Dreieck, für ihn selbst - und nur um seine Person scheint es bei diesem Coup zu gehen - wird das Deutsche Museum aber auf dem Brachland zwischen Potsdamer Straße, Eichhornstraße und Linkstraße gebaut. Daß es überhaupt gebaut wird, ist für Nagel ohnehin keine Frage: „Es war niemals Ziel der Koalitionsvereinbarung über die Faktoren Architektur, Standort und Konzeption das Deutsche Historische Museum scheitern zu lassen. Das Museum steht schon immer nicht zur Disposition.“

Brauchte der Bauer sich also nur zu opfern und diese lächerlichen drei Grundfragen mal eben zu lösen und die Ergebnisse zu verkünden, auf daß alles gehe wie von selbst: 1) Der Entwurf von Aldo Rossi wird wohl nicht gebaut; der Planungsauftrag wird storniert, ein neuer Wettbewerb soll ausgeschrieben werden. 2) Der Standort wird verschoben, denn Geschichte dürfe nicht an den Stadtrand gedrängt werden. 3) Während die dezentrale Kultursenatorin mitsamt dem Regierenden Bürgermeister in Paris weilte, wurde auch das Konzeptionsproblem halbwegs gelöst, denn auch am Gespür für geschichtliche Sinnfälligkeit mangelt es dem Bausenator nicht: „Der Bereich Potsdamer Platz als früher belebtester Platz in Berlin, heute Stadtbrache am Rande der Zentren von West-Berlin und Ost-Berlin, etwa auf gleicher Entfernung zwischen dem Prinz-Albrecht-Gelände und dem Bendlerblock mit Blick auf das Gelände der ehemaligen Reichskanzlei und in unmittelbarer Nachbarschaft zum Kulturforum gelegen, eignet sich in ganz eindringlicher Weise für eine bewußte und kritische Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte. Beim Standort 'alte Reichsstraße 1‘ könnte der Verlauf der aufgegebenen Straße (später Bundesstraße B1) in die Konzeption des Museums einbezogen werden.“

Geschichtsbewußtsein scheint dabei gerade im Hause des Bauverwesers schon besonders ausgeprägt zu sein: So fände es etwa der Hausherr besonders gelungen, wenn der Eingang zum DHM durch die Reichsstraße, „die von Königsberg bis nach Aachen reichte“, gebildet würde. Sein Leitender Senatsrat Joachim Darge findet umgekehrt die enge Nachbarschaft zum ehemaligen Volksgerichtshof nicht weiter problematisch, weil er diesen ohnehin im Osten vermutet.

Sein Chef wiederum kennt sich gerade im Osten besonders gut aus. Weil dieser nämlich immer weiter in Richtung Mauer baue, sieht Deutschlandpolitiker Nagel auch westlicherseits einen dringenden Bauzwang. Überdies, so erinnerte der Gesamtplaner und Mauerignorant, führe die Potsdamer Straße ohnehin direkt auf den Leipziger Platz. Und wenn, wie beabsichtigt, der S-Bahnhof „Potsdamer Platz“ zum wichtigsten Übergang würde, müsse der Platz erst recht neugestaltet werden. Warum, sagte der Aushängeschildermaler allerdings nicht.

Während DHM-Direktor Christoph Stölzl „kein gutes Gefühl bei der kurzatmigen Zick-Zack-Politik des Senats hat“ und die planerische Abkehr von dem „Schicksalsplatz am Reichstag“ für kontraproduktiv hält, dürfte der Tatendrang des Querschlägers auch aus den eigenen Reihen bald gebremst werden: so „bedauert und verurteilt“ die AL-Fraktion den Alleingang des Bausenators. Laut Umweltsenatorin Michaele Schreyer widerspräche es stadtplanerischer Vernunft, im Vorgriff auf ein neues Konzept für den zentralen Bereich eine Standortentscheidung für ein Einzelprojekt herbeizuführen.

grr

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