Asbestialische Ängste im Saarland

Wissenschaftliche Untersuchung: Saures Trinkwasser nagt an Asbestrohren / Bis zu einer Million Fasern pro Liter / Behörden beschwichtigen  ■  Von Fabian Fauch

Merzig-Wadern (taz) - Entgegen Beteuerungen aus dem saarländischen Gesundheitsministerium schlucken die Bürger von Waderns Stadtteil Wadrill doch Asbestfasern mit dem Trinkwasser. Bis zu einer Million krebserregender Asbestfasern schwirren pro Liter durch die Wasserrohre, die streckenweise aus Asbestzement bestehen. Das ergab eine nun der taz vorliegende Untersuchung des Dr.Marx-Instituts in Spiesen-Elversberg. Der FDP-Vorsitzende des Kreises Merzig -Wadern, Wolfgang Wagner, hatte sie in Auftrag gegeben. Ebenfalls mit Asbest belastet ist danach das Trinkwasser der saarländischen Gemeinde Nohfelden, wo Hunderttausende der Fasern gezählt wurden.

Die Studie weist nach, daß die Asbestfasern aus den Wasserrohren herausgelöst werden. Das Wasser in dem Gebiet ist laut Versuch zu sauer und „kalkaggressiv“. Sein pH-Wert lag je nach Meßort bei 4,8 bis 5,4 - neutral wäre der pH -Wert 7. Mittlerweile macht die „asbestialische Angst“ im Saarland die Runde, so auch in St.Wendel und Saarbrücken. Die Freidemokraten erweisen sich dabei als besonders rührig. Die Behörden beschwichtigten noch bis vor kurzem. Doch fehlen ihnen exakte Untersuchungen. Auch Wagner mußte in Wadrill und Nohfelden zur Eigenhilfe greifen, weil das saarländische Gesundheitsministerium sich weigerte, ein solches Gutachten zu erstellen. Der dortige Abteilungsleiter Hans Berner erklärte noch im Februar 1989, er sei „überzeugt, daß überhaupt keine Fasern im saarländischen Trinkwasser sind“. Nur 3,2 Prozent des Wassernetztes, also 200 Kilometer, bestünden aus Asbestzement-Rohren. Zuwenig, meinte Berner. Er lehnte „eine teure Überprüfung des Wassers“ ab. Wagner hält Berners Verhalten für „ignorant“. Er hofft aber darauf, daß ihm die Behörden die Kosten des Gutachtens wenigstens im nachhinein erstatten.

Sauer ist der FDP-Kreischef auf Waderns CDU-Bürgermeister Berthold Müller. Der habe eine FDP-Pressenotiz im amtlichen Mitteilungsblättchen zensiert, sagte Wagner zur taz. „Wir wollten die Bevölkerung von dem Untersuchungsergebnis unterrichten und davor warnen, asbesthaltiges Wasser in Luftbefeuchtern, Klimaanlagen und Saunas zu verwenden, weil es dort verdunstet und das Asbest in die Atemluft gerät.“ Im Amtsblatt erschien dagegen bloß: „Der FDP-Stadtverband hat... eine Trinkwasseruntersuchung vornehmen lassen. Für Auskünfte steht der FDP-Stadtverband gerne zur Verfügung.“ Kein Wort von Asbest, kein Wort von den Gefahren. Und die scheinen doch zu bestehen. An bisherigen gegenteiligen Aussagen des Bundesgesundheitsamtes läßt sich zweifeln, seitdem bekannt wurde, daß die Faserzement-Industrie (vormals: „Asbestzement“) Projekte des Amtes gesponsert hat. Immer mehr Wissenschaftler - vor allem in den USA - schätzen das Risiko von asbesthaltigem Wasser höher ein als bisher angenommen. Zwar stimmen sie nach wie vor darin überein, daß Asbestfasern die zähen Magen-Darm-Schleimhäute mühsamer und seltener durchdringen als die empfindlichen Wände der Lungenbläschen, die sie sofort schädigen. Doch fragen sich die Experten, was geschieht, wenn asbesthaltiges Wasser verdunstet. Dr.Horst Marfels vom Frauenhofer Institut auf Anfrage: „Darüber machen wir uns auch Gedanken und reden mit den Berufsgenossenschaften. Stellen Sie sich Wäschereien vor oder Reinigungen. Beim Waschen und Trocknen kann das Asbest in die Luft geraten.“ Eine Gefahr für die dortigen Angestellten? Auch hier fehlen Untersuchungen. Um ein etwaiges Krebsrisiko von asbesthaltigem Wasser nachzuweisen, wäre eine empirische Studie vonnöten. Das heißt auch: Es müssen zuerst noch ein paar Menschen sterben. Doch nach wie vor steht fest: Eine Faser Asbest in der Luft - auch im Wasserdampf der Sauna oder der Wäscherei - kann den Krebstod bringen.