Zypern: Schuldspruch gegen Vergewaltigungsopfer

■ Ute und Melanie Loh aus Berlin wegen Totschlags verurteilt / Strafmaß erst am Montag / Gericht in Famagusta sah nach Vergewaltigung keine Notwehrsituation

Berlin (taz) - Schockierender Schuldspruch für Ute und Melanie Loh aus Berlin: Das Strafgericht von Famagusta in Nordzypern verurteilte die 48jährige Lehrerin und ihre 20jährige Tochter wegen Totschlags an dem türkischen Zyprioten Özmen Tulga. Das Strafmaß wird am Montag bekanntgegeben.

Die beiden Frauen hatten nach der mehrmaligen brutalen Vergewaltigung der Tochter Özmen Tulga mit einem Gürtel erdrosselt. Ihre Verteidiger hatten aufgrund der Notwehrsituation, in der sich die Frauen befunden hatten, auf Freispruch plädiert.

Das Gericht folgte in seiner Urteilsbegründung weitgehend den Ausführungen der Staatsanwaltschaft. Diese hatte in ihren Plädoyers zwar nicht die mehrfache Vergewaltigung bestritten - wohl aber den Tatbestand der Notwehr. Die beiden Frauen hätten im nachhinein, nachdem Özmen Tulga bereits entkräftet und verletzt gewesen sei, aus Rachemotiven den Mann erdrosselt. Richter Mustafa Oskoek erklärte in seiner Urteilsbegründung sinngemäß, zur Abwehr des Fortsetzung auf Seite 2

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drohenden Unheils, das von dem Mann ausgegangen sei, wäre eine Tötung nicht nötig gewesen.

Bis Montag sollen die Verteidiger Ali Dana und Sefika Durburan Gelegenheit haben, erneut die mildernden Umstände anzuführen, die vom Gericht bei der Bemessung des Strafmaßes berücksichtigt werden können. Sie kündigten an, gegen das Urteil in die Berufung vor den „appeal court“ in Nicosia zu gehen. In Zypern gilt das britische Rechtssystem. Eine Aussetzung der zu erwartenden Strafe auf Bewährung ist nach Auskunft von Rechtsanwältin Durburan nicht möglich.

Melanie Loh brach bei der Übersetzung des Schuldspruchs im Gerichtssaal zusammen. In Begleitung

ihrer Mutter wurde sie in ein Krankenhaus in Famagusta gebracht.

Das entsetzliche Geschehen in dem nordzypriotischen Dorf Yeni Erenköy, über das seit Anfang Mai in Famagusta verhandelt wird, hatte am Abend des 23. März an einem menschenleeren Sandstrand stattgefunden. Zeugenaussagen von Ärzten bestätigten die Verletzungen, die Ute und Melanie Loh von dem Kampf mit özmen Tulga, der sie in ihrem Zelt überfallen hatte, davongetragen hatten. Ein Dorfbewohner hatte ausgesagt, die Frauen selbst hätten ihn zu der Leiche geführt und geglaubt, Tulga noch retten zu können. Aufgrund dieser Aussage war am zweiten Prozeßtag die Anklage auf Mord fallengelassen worden.

Berlins Frauensenatorin Klein, die zur Unterstützung der beiden Frauen am Prozeßbeginn teilgenommen und das Verfahren als

„fair“ und „objektiv“ wahrgenommen hatte, nahm das Urteil „mit äußerster Bestürzung“ zur Kenntnis.

Helga Lukoschat