Das Militär marschiert in Peking

■ Ministerpräsident Li Peng schickt Soldaten zum Platz des Himmlischen Friedens / Der reformwillige Parteichef Zhao Ziyang durch Li Peng entmachtet / Demonstranten versuchen, die Truppen aufzuhalten / Studenten hatten Hungerstreik bereits abgebrochen

Peking (dpa/afp/taz) - Der chinesische Ministerpräsident Li Peng hat am frühen Samstagmorgen (Ortszeit) praktisch das Kriegsrecht über die Hauptstadt Peking verhängt. Die Regierung reagierte damit auf die seit mehr als einem Monat anhaltenden Studentenproteste gegen die kommunistische Führung des Landes. Die auf dem Platz des Himmlischen Friedens demonstrierenden Studenten wurden am Abend über Lautsprecher zur sofortigen Räumung des Platzes aufgefordert. Augenzeugen beobachteten starke Militäreinheiten des 27. Bataillons auf dem Weg ins Zentrum von Peking. Dabei wurden auch Demonstranten gesehen, die versuchten, Truppentransporter aufzuhalten. Die Pekinger Studenten hatten zuvor unter dem Druck der Regierung ihren Hungerstreik abgebrochen und waren zu einem Sitzstreik übergangen, um eine drohende Eskalation zu vermeiden.

Chinas KP-Chef Zhao Ziyang ist offenbar entmachtet. Statt seiner hielt Ministerpräsident Li Peng in der Großen Halle des Volkes im Namen der Parteiführung eine Rede, in der er zur Wiederherstellungder Ordnung im Land aufrief. Vorliegenden Informationen zufolge hatte sich Zhao zuvor im engsten Führungszirkel der Partei geweigert, dem Truppeneinsatz zuzustimmen. Während der Rede des Regierungschefs bildeten Studenten Menschenketten um die Halle des Volkes.

Im Morgengrauen hatten sich zwar der chinesische Parteichef Zhao Ziyang und Ministerpräsident Li Peng noch gemeinsam als Zeichen ihrer Gesprächsbereitschaft auf den Platz vor der Großen Halle des Volkes begeben. Während der reformwillige KP-Generalsekretär Zhao unter Tränen bekannt hatte, er sei „zu spät“ gekommen, kündigte Li Peng dann aber im Laufe des Tages Maßnahmen gegen den Protest an. Verlautbarungen zufolge hatte Zhao im fünfköpfigen ständigen Ausschuß des Politbüros um seine Entlassung gebeten. Zuvor hätten die übrigen vier Mitglieder seinen Vorschlag abgelehnt, den Forderungen der Studenten nachzukommen.

Informationen aus den Streitkräften zufolge hatte die Regierung die Truppen aus anderen Landesteilen nach Peking beordert, weil das für die Verteidigung der Hauptstadt zuständige 38. Armeekorps zuvor angeblich einen Einsatz gegen die Demonstranten abgelehnt hatte. Erneut waren am Tage Hunderttausende von Menschen zum Platz des Himmlischen Friedens gezogen, um in Solidarität mit den Studenten gegen Chinas Führung zu demonstrieren. Trotz des Beschlusses, die Aktion abzubrechen, zeigte sich am Tag ein harter Kern der Hungerstreikenzeigte zunächst noch entschlossen, ihren seit einer Woche andauernden Hungerstreik fortzusetzen. Ausdrücklich riefen die Studenten die Arbeiter auf, nicht zu streiken. Eine in China bislang unbe Fortsetzung auf Seite 2

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kannte Arbeiterorganisation hatte am Freitag zu einem unbefristeten Streik in allen Pekinger Betrieben aufgerufen, der am Samstag um null Uhr beginnen sollte. Arbeiter in Fabriken der Hauptstadt bestätigten, daß die unabhängige Vereinigung erst in den vergangenen Tagen gegründet worden sei. Nach Augenzeugenberichten zogen mehrere Dutzend Delegationen aus Pekinger Betrieben zu Fuß oder in Lastwagen

um den Platz des Himmlischen Friedens. Vor der Halle des Volkes, dem Sitz des Parlaments, waren 50 Meter lange Transparente gespannt mit der Aufschrift: „Aus Treue zur Demokratie, zur Freiheit und zu den Menschenrechten fordern wir die sofortige Einberufung einer außerordentlichen Sitzung des Nationalen Volkskongresses, den Rücktritt von Li Peng und Deng Xiaoping sowie die Pensionierung von Yang Schangkun, um die Studentenkrise zu beenden und die Lage wieder zu normalisieren.“

Die Studenten-Aktivisten riefen

auch die Studenten aus anderen chinesischen Städten auf, nicht mehr nach Peking zu kommen. In den vergangenen Tagen kamen Hunderttausende von Studenten aus vielen chinesischen Städten nach Peking, um ihre hungerstreikenden Kommilitonen zu unterstützen. Auch in vielen anderen Städten kam es wieder zu Studentendemonstrationen, an denen auch viele Arbeiter teilnahmen. Die Hochschulen waren praktisch lahmgelegt. In der südchinesischen Stadt Guizhou kam es zu gewalttätigen Aussschreitungen. Geschäfte wurden geplündert und

zwölf Personen festgenommen. In Schanghai demonstrierten seit Tagen rund 100.000 Studenten. Mehrere hundert Studenten traten vor dem Gebäude der Stadtregierung in einen Hungerstreik. Die Polizei solidarisierte sich nach Augenzeugenberichten offen mit den Studenten. Auch in der Stadt Changsha (Provinz Hunan) begannen Studenten vor dem Gebäude der Stadtregierung einen Hungerstreik. Erneut solidarisierten sich mit den Studenten in Peking mehr als eine Million Menschen in Massenprotesten gegen die chinesische Führung.

sl