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Patriarchatsbeschützende Werkstätten

■ Bei der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage ( im Volksmund: Mormonen )

Sie heißen wie sie heißen, weil sie auf die baldige Wiederkehr Jesu warten. Erklärt mir nach der A(bendmahls) -Versammlung in der Ottilie-Hoffmann-Straße (ab 10.50 Uhr) die nette Frau auf dem Nebenstuhl mit dem schlafenden Jungen auf dem Schoß. Der Junge ist Teil der „Primarvereinigung“, die sich schon um 9 Uhr versammelt hatte, parallel zum „Priestertum“ (Männer), der „Frauenhilfsvereinigung“ ( Frauen) und den „Jungen Damen“, wenn sie keine „Fröhlichen Mädchen“ mehr sind. Im Unterschied zu den vielen kleinen Mädchen, die raus- und reinlaufen und Bilderbücher gucken, wird er, wenn er nicht flieht, Priester werden.

Die Wiederaufrichtung des Priestertums, erklärt uns jetzt eine Frau im ausgeschnittenen roten Kleid, bedeutet Macht und Vormacht, wirkt sich im Alltag jeder Familie aus, ist auch ein Segen für die Schwestern, die daran teilhaben. Danach bekennt ein aronscher Priester - ein Jüngling in Brille und Konfirmandenanzug mit schier überwältigendem amerikanischen Akzent und verklemmt bis zur Zungenlähmung, was für eine „gute Sache“ für ihn persönlich die Wiederaufrichtung des Priestertums durch Joseph Smith am 15. Mai 1829 sei. Aha, der Religionsgründer, der das Priestertum dieses gehemmten Jünglings erfand und es in erster Stufe (aronsches P.) von Johannes dem Täufer ableitete, in zweiter, (melchidiasiakisches P.) von Jesus persönlich. Welchhöchste Stufe der danach bekennende Priester, ein vor Verlegenheit schier vergehender Spätpubertant, mit „Müh und Not“ zu erreichen hoffte. „Mit Freude“ berichtigt die nette Frau neben mir. Dann trägt der Führer der jungen Männer, unterstützt durch zahlreiche heilige Texte mit Reißverschlußverschluß, vor, wie das Leben als Scout junge Männer für das Priestertum vorbereitet und gegen die Verlockungen des Fortschritts feit: kein Alkohol, keine Zigaretten, keine Drogen, am besten alles zu Fuß und ohne weicheswarmes Bett, das hilft, Herr seiner Stimmung und seines Körpers zu werden, das fördert „Disziplin“ und „Männlichkeit“. Damit Männer das lernen, müssen Mütter aber ihre Söhne in die Kirche bringen, genau! nickt meine nette Nachbarin. Nur zu wünschen, wie die Mutter von Carl es tat, reicht nicht. Carl ging dann, (logo!) erst unter Atheisten, dann unter Sozialisten und dann unter Rauschgiftsüchtige. Das Schlußgebet sprach Schwester Viola.

Die Hallen der beschützenden Werkstätten des Patriarchats verließ ich nicht, ohne von meiner netten Nachbarin zwei weiteren Schwestern in weißen Krägelchen vorgestellt zu sein, die mich zum Gesprächskreis über Familienkunde und besonders den Video-Film über den Zweck unseres Lebens inständig einluden. Uta Stolle

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