ZWISCHEN DEN RILLEN

 ■  Neues vom Posträuber

Joe Jackson bleibt weiter auf der Flucht. Auf der Flucht vor einem Image, einem Stil, seiner eigenen Disziplin und seinem Alter. Doch mit der zwölften LP Blaze of Glory hat der souveräne Eskapist endgültig den eigenen Steckbrief geliefert. Es gibt kein „alias“ mehr für J.J., den musikalischen Phantomzeichner, der sich mit jedem neuen Konzept-Album als frischer Mutant präsentierte. Er bekennt sich: das All-Stil-Zitieren und -Collagieren ist längst sein Markenzeichen geworden. Mitten im Leben hat er sein Image weg, da hilft auch das alberne Trotzliedchen Nineteen forever nichts: „Ich werde niemals 35“, singt er - der 34jährige. Blaze of Glory ist die ruhige Fingerübung des Etablierten. Ein perfekt arrangiertes Selbstzitat.

Der große Verwurster hat sich wieder überall bedient. Jazz, Soul, Swing, Folk, Beat. Kein Song ohne intelligenten Bruch, keine langweiligen Fading-Übergänge. Zwar bleiben die ersten beiden Stücke textlich und musikalisch blaß, doch schon in der Hauptstadt-Ode Down to London mischt sich die nostalgische Synthi-Mundharmonika mit furiosen Bläsersätzen, geht dann über in schmachtende Geigenseligkeit und opernhafte Madame-Butterfly-Gesänge in Sentimental Thing. Es folgt ein instrumentaler Kurztrip nach Griechenland. Acropolis Now - explosive Disco-Bouzouki. Dann Rhythm & Blues mit viel Blech plus Conga-Beat, als Einlage die gestopfte Trauertrompete. Der strandjungenhafte Chorgesang steht neben der eleganten Barpiano-Ballade, das abgeschwächte Stones-Hoo-Hoo-Hoo neben pickendem Folk. Selbst vor experimentellem Sampeln nach Art-of-Noise-Manier macht der High-Tech-Hasser diesmal nicht halt, und blasphemischerweise setzt er sogar künstliche Konzert-Atmo ein. Schon Jacksons Big World-Album war musikalische Bilanz, Blaze of Glory ist Midlife-Krisenmanagement.

Dabei war der Mann mit dem ewigen Oberschülergesicht immer schon erwachsen, immer schon lag er mit seiner Ernsthaftigkeit weit vor den Trends. Der studierte Pianist begann mit angepunkter Wave-Musik, nach der kurzen Beat -Renaissance Anfang der 80er machte er als erster den Ausflug zum Big-Band-Sound. Er kümmerte sich um den Jazz der 40er, als das noch niemand tat, integrierte Swing, Soul und Latin und probte Weltmusikalisches, lange bevor der Orient aus den Discos dröhnte.

Die Welt wäre ein besserer Platz, wenn einige von uns Amateure blieben, hat Jackson früher mal getextet. Doch er selbst ist das Gegenteil. Seinen Avantgarde-Anspruch pflegt er in langen Texten auf den Covers auszubreiten. So nahm er die Jazz-LP Body and Soul mit der Nachkriegs -Studiotechnik auf. Das Doppelalbum Big World hatte nur drei bespielte Plattenseiten, die live in einem New Yorker Club aufgenommen wurden - allerdings ohne Live-Atmosphäre, denn Jackson verdonnnerte die Zuhörer dazu, nicht zu husten und doch bitte auf den Händen Platz zu nehmen. Seine Tournee -Platte 80-86 präsentierte er als Mittschnitt-Essenz ohne nachträgliches Dubbing.

Doch auch ein Antistar ist ein Star. Wehmütig, Dylans Genäsel imitierend, singt Jackson Blaze of Glory, die Titelballade, ein rhythmisches Gitarren-Stück über all die Legenden, die jung und schön in Flammen aufgingen. Gegen die glorreiche Perfektion steht nur noch Jacksons unspektakuläre, schneidende, klagende Stimme. Human Touch heißt das letzte Stück der Platte, doch vorher kommt natürlich Discipline, die vergebliche Selbstkritik: Discipline can stop my hunger/Discipline can quench my thirst/Discipline can make me stronger/If it doesn't kill me first. Joe Jackson, der komponierende Posträuber, wird weiter diszipliniert durchbrennen - in Richtung nächstes Konzept-Album.

Hans-Hermann Kotte

Joe Jackson, „Blaze of Glory„

A&M Records 395249-1