„Die Leute aus der Hauptstadt, warum verachten die uns so?“

■ Jiang Guoliang, männlich, 22 Jahre alt, Wachposten einer Radarstation in einem Außenbezirk von Peking

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Als ich zuerst zum Militär kam, hatte ich von nichts 'ne Ahnung. Sogar mit dem Zug bin ich zum ersten Mal gefahren. Als der Zug in Peking einfuhr, tönte es aus dem Lautsprecher: „Mit der großen Unterstützung der Fahrgäste haben wir die ehrenvolle Aufgabe, unsere Beschützer und Begründer des Sozialismus zu transportieren, zum Abschluß gebracht.“ Ich habe mich sehr geehrt gefühlt, glühte geradezu vor Begeisterung. Zu jener Zeit hatte ich wirklich von nichts 'ne Ahnung. Ich glaubte sogar, daß die Durchsage speziell für uns neue Soldaten im Zugabteil gemacht worden sei. Ein älterer Genosse, der uns neue Soldaten begleitete, sagte: „Das ist ein ganz alter Hut, seit wieviel Jahren wird das schon durchgesagt.“ Voriges Jahr, als ich nach Hause auf Besuch fuhr, habe ich festgestellt, daß man statt dessen nun leichte Musik brachte; auch so ein alter Hut muß sich also ändern. Nur eines wird sich nicht verändern, die Soldatenpflicht.

Ich komme aus dem Bezirk Shangrao in der Provinz Jiangxi. Nach Peking ging ich, um Soldat zu werden, um die Hauptstadt des Vaterlands zu beschützen; das habe ich immer als große Ehre empfunden. Nach Abschluß der unteren Stufe der Mittelschule habe ich zuerst zu Hause auf dem Feld gearbeitet. Als man Soldaten einzog, habe ich mich freiwillig gemeldet. Wer sagt denn, daß keiner mehr Soldat werden will, nachdem sich das Leben auf dem Land verbessert hat. Möglicherweise wollen die Kinder aus wohlhabenden Familien nicht, aber wieviel reiche „Familien mit 10.000 Yuan“ gibt's denn schon? Sehr wenige. Außerdem hat es 1979, als ich zur Armee kam, „10.000-Yuan-Familien“ noch gar nicht gegeben.

Jiangxi ist eines der Gebiete, wo unsere Revolution entstanden ist und wo die Truppen unseres Volkes herkommen. Die breiten Volksmassen wissen genau, daß es ihre Pflicht ist, das Vaterland zu beschützen. Ich habe oft gedacht, im Vergleich zu den Städtern lieben wir Leute vom Land das Vaterland und die Partei sogar noch mehr. Ich meine, mit der Stadt ist's komplizierter.

Gerade erst hat der Kompanieführer erklärt, ich dürfe auf jede Frage von euch eingehen. Sonst könnte ich auch nicht so drauflos reden wie ich wollte. Ja wirklich, wir haben hier einigen Anlaß, den Lebenslauf eines jeden von uns geheimzuhalten, man sollte nicht einfach drauflosplaudern. Festungen sind zu oft von innen her gestürmt und zerstört worden. Wir haben Regeln und Disziplin. Was man nicht wissen soll, danach fragt man nicht, was man nicht sagen soll, das sagt man eben nicht.

Was soll ich euch erzählen? Ich bin ein Bauernsohn. Wenn meine Zeit hier um ist, werde ich auch wieder ein Bauer sein.

Also, da sind wirklich ein paar Dinge, mit denen ich mich nicht abfinden kann. Ich bin der Meinung, daß das schwerwiegendste Problem die Ungleichheit ist. Nicht die zwischen Beamten und Soldaten, eine andere. Ob man nun in Peking oder Tianjin die Straße entlanggeht, die Stadtleute sagen immer: „Guck mal, der große Krieger!“ oder: „Heh, ein kleiner Soldat“, das bleibt sich ziemlich gleich. Die nehmen uns nicht für voll; schlimmer, die verachten uns sogar. Wir dagegen beschützen sie, beschützen ihr Leben in Friedenszeiten. Als damals am Faka-Berg an der Grenze zu Vietnam unsere Kämpfer ihr Blut opferten, haben da die Städter nicht noch im Theater gesessen oder waren tanzen? Innerhalb der Truppe gibt es auch so einige Probleme. Diese Radarsoldaten, die sind was ganz Besonderes, mit der Technik vertraut. Deshalb sehen die auch auf uns von der Wachkompanie herab. Wir aber stehen jederzeit für sie auf Posten! Ich hoffe sehr, daß Schriftsteller solche Probleme auch mal darstellen. Innerhalb der Kompanie halten die Landleute zusammen. Aber die Soldaten aus der Stadt verachten die Soldaten vom Land, besonders uns „Landsknechte aus Jiangxi“. Die sagen, wir seien Geldanbeter. Sind wir etwa so wie die? Die kaufen sich Creme und reiben sich damit das Gesicht ein. Ist das etwa keine Geldanbeterei? Als Soldat, was soll man sich da eincremen?

Aber wenn wirklich mal Gefahr aufkommt, dann stehen wir alle ganz fest zusammen. Voriges Jahr, als im Maschinenraum der Kaserne ein Feuer ausbrach, da haben die Kameraden aus der ganzen Kompanie den Brand gemeinsam gelöscht. Normalerweise streitet man rum und beschimpft sich, aber da hielten alle zusammen. Zum Beispiel unser Vizekompanieführer und unser Zugführer, die können sich überhaupt nicht leiden, es geht da um die Beförderung zum Kader. Besonders der zweite Zugführer war schon immer so einer, der nie nachgeben konnte. Aber beim Brandlöschen hielten die beiden zusammen wie ein Mann. Und nachdem der Brand gelöscht war, kam die alte Uneinigkeit wieder auf. Als das Unglück passierte, stand der Vizekompanieführer vor dem Gebäude, der zweite Zugführer war auf das Dach gestiegen. Da schrie der Vizekompanieführer aus Leibeskräften, er solle bloß herunterkommen. Er hatte Angst, daß dem was zustoßen könnte. Wegen diesem Brandvorfall mußten die Radarsoldaten Kritik einstecken; einige wurden auch noch bestraft. Unsere Wachpostentruppe errang dafür die Gemeinsame Auszeichnung dritten Grades. An dem Tag stand ich gerade Wache, ich konnte nicht am Feuerlöschen teilnehmen.

Echte Feindberührung? Hab‘ ich noch nicht gehabt. Es heißt doch: Tausend Tage ausgebildet, eine Stunde eingesetzt!

Ich bin Zeitsoldat, meine Zeit ist schon abgelaufen. Sehr bald werde ich wieder nach Hause gehen. Über vier Jahre lang, egal bei was für einem Wetter, jeden Tag vier Stunden Posten stehen, das ist unser ganz normales Leben. Der Radar in der Kaserne ist ein Schutz des Warnsystems der Stadt Peking, Teil der Luftabwehr. Von morgens bis abends, das ganze Jahr hindurch, dreht er sich über unseren Köpfen und stoppt keine Sekunde. Unsere Aufgabe ist eigentlich, zu gewährleisten, daß er sich dreht. Etwas ganz Bescheidenes? Kann man so sehen! Eine große Ehre? So kann man's auch auslegen.

In meiner Freizeit spiele ich oft Basketball, Literatur mag ich auch gerne.

Ja, unser Monatssold kommt lange nicht an das heran, was ein Lehrling bekommt. Aber die Pflicht ist wichtig und die Verantwortung. Darin besteht die Ehre. Außerdem ist das Soldatenleben wirklich gut. Das Frühlingsfest hat die Führung des ganzen Regiments mit uns gefeiert. Läuft sowas etwa woanders?

Stimmt, wir sind in Peking stationiert, aber das ganze Jahr über kommt man kaum in die Stadt. Ich war nur dreimal in Peking, einmal in Tianjin, zudem waren das nur Dienstsendungen.

In Friedenszeiten, da wachen wir überall. Wenn wirklich Krieg sein sollte, dann opfern wir uns zu allererst und zahlen mit unserem Blut. Die Leute aus der Stadt, besonders die aus der Hauptstadt, warum verachten die uns so?

Bei Eiseskälte oder Gluthitze - die Pekinger sagen immer „unter der brütenden Sonne“, so sagt man bei uns auf dem Dorf übrigens auch - stehen wir Wache. Und was verlangen wir dafür? Wir verlangen nichts, denn das ist unsere Pflicht. Aber wenn Sie wirklich wissen wollen, was wir uns wünschen: Wir wünschen uns, daß die Leute, die an unserem Wachposten vorbeikommen, zehn oder meinetwegen nur ein Prozent von denen, uns mal zulächeln. Wir können sie nicht grüßen, das dürfen wir nicht, weil wir Posten stehen. Aber im Herzen würden wir es ihnen danken...

Ja, einmal lächeln bitte, dann wäre die Hauptstadt da unten noch schöner. Übersetzt von Heidrun Schulz

Aus: Zhang Ximxim / Sang Ye, „Pekingmenschen„; Diederichs-Verlag, Köln 1986