Rabiater als die CDU

■ Bezirksamt Kreuzberg ließ Zeltdorf auf dem Mariannenplatz räumen / Polizei kam überraschend im Morgengrauen / Kritik von AL-Abgeordnetem

Am gestrigen frühen Morgen hat die Polizei das Zeltdorf geräumt, das sich seit Samstag auf dem Mariannenplatz entwickelt hatte. Die Polizei traf in den fünf Zelten 34 Camper an, darunter ehemalige BesetzerInnen des Hauses Oranienstraße 192, das am Samstag zum zweiten Mal geräumt worden war. 33 Menschen wurden nach Feststellung ihrer Personalien wieder entlassen. Ein Zeltbewohner wurde verhaftet, weil er eine Freiheitsstrafe noch nicht angetreten hatte, die wegen „fahrlässigen Vollrausches“ gegen ihn ausgesprochen worden war.

Das Bezirksamt Kreuzberg hatte bereits am Montag die Polizei um „Vollzugshilfe“ gebeten. In einer außerordentlichen Sitzung hatte das Stadträtekollegium diesen Beschluß „einmütig“ gefaßt, nach außen jedoch nichts über seine Absichten verlauten lassen. Für den Bezirk stand nach einer Erklärung von gestern fest, „daß es sich bei den Zeltbewohnern nicht um Obdachlose handelte“. Baustadträtin Eichstädt (AL-nah) hatte am Montag mittag die jungen Camper aufgefordert, ihre Zelte abzubrechen, aber keine Frist gesetzt. Es gebe „genug solche Punkte in Kreuzberg“, begründete Bürgermeister Günter König (SPD) gestern das Vorgehen des Bezirkes. „Massenweise Beschwerden“ gingen bereits wegen der „Wagenburg“ am Georg-von-Rauch-Haus ein. „Mit Sicherheit“ hätte das Zeltdorf „über kurz oder lang“ ähnliche Probleme geschaffen. König wies darauf hin, daß die Zahl der Zelte seit Samstag von einem auf fünf gewachsen sei.

Auch AL-Volksbildungsstadtrat Dirk Jordan verteidigte die Räumung des Zeltdorfes. „Die wenigen Parks, die wir haben“, so Jordan, dürften nicht als „Campingplatz“ mißbraucht werden. Jordan räumte ein, daß die Polizeiaktion zu einer Solidarisierung mit den Ex-BesetzerInnen führen könnte, sprach jedoch von einem „Abwägungsprozeß“. Er deutete an, daß die Entscheidung des Bezirksamtes bei zumindest einer Enthaltung fiel. Baustadträtin Eichstädt war gestern nicht erreichbar. Sie hatte am Montag erklärt, den Schweige -Beschluß des Bezirksamtes „nicht ganz kapiert“ zu haben. König erklärte gestern, man habe weiteren Zulauf für das Zeltdorf befürchtet. In einer Erklärung gestand das Bezirksamt zu, daß es sich bei den Stadtteilgremien dafür einsetzen werde, „wie und ob die Wohnansprüche der Besetzer realisiert werden können“.

Kritik an der Entscheidung kam von dem AL-Abgeordneten Michael Haberkorn. Die rasche Räumung des Zeltdorfes sei ihm „völlig unverständlich“, sagte Haberkorn auf Anfrage. Die Aktion sei „stimmungsmäß nicht günstig und angepaßt“. „Das führt wieder zu einer Solidarisierung der Szene“, meinte auch der Kreuzberger AL-Politiker und „Realo“ Volker Härtig. „Nicht mal unter der CDU“ sei es „so rabiat“ zugegangen. Die Polizeiaktion sei „seltener Blödsinn“.

taz