„China hat noch viele Krankheiten...“

■ Ein Interview mit drei chinesischen Studentinnen aus der Bewegung / Von Thomas Reichenbach

Peking (taz) - Die taz sprach mit Li Yanfeng (L), Jurastudentin im 2.Semester an der Pekinger Universität, verantwortlich für die Agitpropabteilung; Gao Hua (G), Name auf Wunsch abgeändert, Studentin an der Fakultät für Östliche Sprachen, 8.Semester, arbeitet im studentischen Rundfunk an der Pekinger Universität; Li Hong (H), Studentin an der Fakultät für Politik, 9.Semester, Mitglied der Analysegruppe.

taz: In den studentischen Komitees oder der Verhandlungsdelegation sind Studentinnen kaum vertreten. Wo liegen dafür die Gründe?

L: Ob bei den Demos oder beim Hungerstreik oder bei der Verteidigung der Blockadestellungen, überall stehen Studentinnen in der vordersten Linie. Auch in den studentischen Gremien sind Frauen vertreten und haben verantwortungsvolle Positionen inne, z.B. hat Cai Lin von der Peking-Uni die Hungerstreikgruppe geleitet. An den Unis sind die Studentinnen in der Minderheit und das ist auch in den Führungsorganisationen der Studentenbewegung der Fall, aber das ist kein Zeichen für mangelnde Fähigkeiten der Studentinnen. Parität ist für mich nicht der entscheidende Punkt, in dem Gleichberechtigung ihren Ausdruck findet.

G: Innerhalb der studentischen Bewegung gibt es keine Geschlechtsdiskriminierung. An der Basis melden sich die Studentinnen oft als erste für Aktionen, aber aufgrund vieler gesellschaftlicher und psychologischer Faktoren drängen sie nicht so stark in die Führungsgremien wie die Studenten.

H: Von den Studentinnen nehmen vielleicht 50% aktiv teil, von den Studenten etwa 80%. Die Studentinnen kämpfen aber entschlossener als die Männer. Sie reagieren emotional viel stärker auf Unrecht und Unterdrückung. Da es in der chinesischen Tradition der Frau nicht erlaubt war, sich politisch zu betätigen, ist auch heute noch das politische Bewußtsein bei den Studentinnen schwächer ausgeprägt, in den Gremien dominieren daher die Männer.

Fordert ihr eine Veränderung des Frauenanteils in den Gremien in Richtung Parität?

L: Im heutigen China sind Frauen nicht wirklich gleichberechtigt, aber die Gremienparität ist dabei nicht das entscheidende Problem. Die Studentinnen haben bisher keine solche Forderung gestellt, weil sie es innerhalb der Bewegung noch nicht als Problem empfunden haben.

G: Es gibt bisher keine Forderung nach Quotierung. Daran hat noch niemand gedacht.

H: Ein Wunsch von mir wäre es schon.

Fordert ihr eine Erhöhung des Frauenanteils in den Männerdomänen in Politik und Wissenschaft?

L: Ja, wir Studentinnen hoffen, daß mehr Frauen in die Führungspositionen kommen. Heute sind Frauen in Staatsorganen oder auf hohen Verwaltungsposten noch die große Ausnahme. Dabei gibt es unter den Frauen viele hervorragende Talente für diese Aufgaben. In einigen Bereichen sind Frauen den Männern einfach überlegen. Aber ich würde keine Quotierung für den Volkskongreß oder die Ministerien fordern.

G: Konkret ist die Forderung noch nicht gestellt worden, aber die Studentinnen sind alle dafür und haben darüber viel diskutiert.

H: Auf lange Sicht ist das notwendig. Kurzfristig muß aber vor allem die Chancenungleichheit bei der Stellenverteilung für Absolventinnen gelöst werden. Frauen werden bei der Stellensuche eklatant benachteiligt. Wenn sich dieses Problem weiter zuspitzt, werden die Frauen ein Bewußtsein dafür entwickeln, daß es in China eine Geschlechterfrage gibt. Wenn mann uns an den Herd schicken will, werden wir aufstehen und kämpfen.

L: Der geringe Frauenanteil in Staat und Wirtschaftspositionen ist natürlich ein Ausdruck von Ungleichheit. Viele Staats- und Verwaltungsorgane stellen bevorzugt männliche Bewerber ein. Aber es gibt im Kampf um Gleichberechtigung in der chinesischen Gesellschaft noch viel grundlegendere Probleme zu lösen als die Quotierungsfrage, z.B. den Verkauf von Frauen als Braut auf dem Land. Wieviele Beamtinnen es gibt, ist da gegenwärtig eine zweitrangige Frage. Die jahrtausendealte fundamentalistische Tradition ist nur sehr schwer zu überwinden.

Haben die Studentinnen in der Demokratiebewegung eigene Forderungen aufgestellt?

L: Jede Chinesin, glaube ich, unterstützt die Forderung nach voller Gleichberechtigung. Aber diese Bewegung ist noch nicht darauf vorbereitet, das zu ihrem Anliegen zu machen. Im Vordergrund stehen Pressefreiheit, Kampf gegen die Korruption u.a.

H: Die Bewegung steht vereint hinter den Hauptforderungen nach Demokratisierung, einzelne Teile der Bewegung haben noch keine eigenständigen Forderungen aufgestellt. Die Studentinnen sind Teil der Intelligenz und daher auch von den Problemen der Intelligenz ganz anders betroffen. In China zählt die Frauenfrage nicht zu den schärfsten gesellschaftlichen Problemen.

Steht in China die Demokratiebewegung und Frauenbewegung in einem Zusammenhang?

L: Die derzeitige Demokratiebewegung hat die Frauenfrage nicht aufgegriffen. China hat viele Krankheiten, und die Diskriminierung der Frauen ist darunter nicht die bedeutendste.

G: Die Bewegung hat sich noch nicht so weit entwickelt, daß sie die Frage stellt, welche Art Demokratie und Freiheit wir Frauen wollen. Dafür sind fünf Wochen aber auch reichlich kurz.

Bei der 68er Studentenbewegung in der BRD war es ein verbreitetes Phänomen, daß die „Fighter“ die großen Reden hielten und die Beschlüsse faßten, während die Studentinnen Transparente malten und Kaffee kochten. Wie gleichberechtigt sind denn die Studentinnen in der jetzigen Bewegung wirklich?

L: Studentinnen und Studenten sind bei uns gleich. Wir werden wegen unseres Geschlechtes nicht von den Studenten diskriminiert oder ins zweite Glied geschickt. Sie sind in den Gremien zu schwach vertreten, aber Chinas Frauen haben gegen eine jahrtausendelange Feudaltradition in der Gesellschaft zu kämpfen. Nur wenige haben von sich aus den Mut, aufzustehen und in die Gremien zu gehen.

H: Ja, wir haben solche Phänomene. Es sind vor allem Studentinnen, die die Wandzeitungen kopieren oder die Flugblätter tippen. Als die Armee in die Stadt eindringen wollte, wurden die Studentinnen für die Überzeugungsarbeit eingesetzt, weil das auf die jungen Soldaten größeren Einfluß hat.