piwik no script img

Im Tarif-Dschungel der Bundesbahn

■ Wenn zwei im selben Zug sitzen, haben sie noch lange nicht dasselbe dafür bezahlt / Die 1.001 „Sparangebote“ der Bahn / Zu zweit zur Revolution nach Paris für 510 Mark - oder für 323 Mark

Nehmen wir mal an, Du willst mit Deinem Freund zur Revolution nach Paris und weißt nur noch nicht, wie Ihr hinkommen sollt. Fliegen kostet von Bremen hin und zurück 400 Mark pro Nase, das ist Euch zu teuer. Ein Auto hast Du nicht, Mitfahrgelegenheit ist Dir zu stressig. Bleibt die Bahn. Die Fahrpreisauskunft behauptet, eine Rückfahrkarte koste 243 Mark plus 12 Mark IC-Zuschlag. 510 Mark zu zweit, das ist zwar der schlichte offizielle Preis, doch den bezahlt heutzutage bei der Bahn (fast) niemand mehr. Wie es billiger geht, sagen mehrere Dutzend Broschüren.

Da gibt es zunächst den Mitfahrerpreis. Für die Rückfahrkarte bis zur Grenze bei Aachen zahlt nur die erste Person voll, jede weitere die Hälfte. Das spart Euch 86 Mark, statt 510 Mark zahlt Ihr 424. Doch dann gibt es auch „Paris Spezial“. Kostet 173 Mark plus Zuschlag pro Kopf, also 370 für Euch beide. Der Nachteil: Den einzigen durchgehenden Zug von Bremen dürft Ihr damit gerade nicht benutzen. Umgekehrt ist es beim sogenannten „Knüller-Preis“. Der gilt vom 28. Mai bis 23. September nur im Nachtzug nach Paris: 79 Mark pro Kopf und Strecke plus Liegewagenzuschlag von 23 Mark, denn der Zug hat nur Liegewagen. Macht zusammen also 362 Mark, und Ihr kommt ausgeschlafen in Paris an. Allerdings muß die Karte 14 Tage im voraus gekauft werden.

Doch damit ist die Bahn noch lange nicht am Ende ihres Angebot-Lateins. Ihr könnt nämlich auch noch 16 Mark draufzahlen, dann liegt Ihr garantiert nur zu viert im 6er -Liegewagenabteil.

Oder Ihr verzichtet auf das Bettzeug und haut Euch in eine „Liegekoje“ im 8er-Abteil. Die kostet statt 23 nur 3,50 Mark pro Schläfer. Macht 323 Mark für Euch beide, das wäre dann aber wirklich das billigste Angebot der Bahn.

Teurer geht es dafür ohne weiteres. Zum Beispiel im Schlafwagen. 178 Mark kostet der Zuschlag im Doppelbett -Abteil. Ihr könnt aber auch eine „Sparpreis-Karte“ kaufen. Die kostet zwar auf der Strecke bis Aachen statt 258 Mark 270. Dafür gibts die Betten dann aber schon für 120 Mark. Ob das nun wiederum günstiger ist als Paris-Spezial mit IC -Zuschlag? Schulterzucken beim Bahnpreisdschungel - erfahre

nen Schalterbeamten.

Dabei sind wir gerade erst am Anfang. Da gibt es für 50 Mark zum Beispiel den „rosaroten Reisepaß“. Sechs Monate lang gibt es dann die Fahrkarten 30 Prozent billiger. Das klingt für Bahnverhältnisse relativ einfach, ist es aber nicht. Der rosarote Paß ermäßigt nämlich keineswegs die „Spar„-und „Superspar„-Angebote. Außerdem gilt er nicht in Intercity- und Eurocity-Zügen. Ein gravierender Nachteil, da es z.B. auf der Strecke von Bremen nach München dann statt 18 nur noch eine einzige tägliche Verbindung gibt.

Oder nehmen wir die „rosarote Streckenkarte“. Rund 25 Prozent vom normalen Sparpreis läßt sich

damit sparen, wenn man zehn Fahrkarten auf einmal kauft, die innerhalb von sechs Monaten (bei Entfernungen über 101 km) bzw. innerhalb eines Monats (bei Entfernungen unter 51 km) benutzt werden können. Warum dieses Angebot allerdings ausgerechnet für Entfernungen zwischen 51 und 101 km nicht gilt, ist den bunten Bahn-Blättern nicht zu entnehmen.

Mit einem gotteslästerlichen Spezial-Angebot versucht die Bahn neuerdings, Züge zu unbeliebten Zeiten zu füllen „rosarote Städteverbindung“ heißt das Programm. Wer zum Beispiel am Sonn-oder Feiertag schon morgens um 6:11 Uhr von Bremen nach Hannover fährt, zahlt statt

der üblichen 56 Mark nur 15, IC-Zuschlag inclusive. Gleiches gilt für Spätheimkehrer auf der Strecke Bremen-Hamburg. Um 21:14 Uhr und 22:14 Uhr kostet die Zugfahrt ebenfalls nur 15 Mark. Dieses Angebot gilt jedoch nur von montags bis freitags. Außerdem hat sich die Bahn nicht um die Rückreise gekümmert. Für die Strecke Hamburg-Bremen gibt es kein „rosarotes“ Angebot, noch nicht mal in dem Zug, der Hamburg um nachtschlafene 4:04 Uhr verläßt.

Wem der „Super-Sparpreis“ von 120 Mark für die Strecke Bremen-München (60 Mark für jede weitere Person) immer noch zu teuer ist (zum Beispiel deswegen, weil am Freitag und Sonntag mit dieser Super-Karte statt 6 doppelte 12 Mark IC -Zuschlag pro Nase zu entrichten sind), läßt sich das Ticket einfach ab Flensburg über Bremen ausstellen. Ist er nach dem Wochenendausflug an der Isar wieder heimgekehrt, verkauft er die Reststrecke Bremen-Flensburg per Kleinanzeige in der taz oder über eine Mitfahrzentrale - Preis: Verhandlungssache. Schließlich weißt Du jetzt: Nur weil zwei im selben Zug sitzen, haben sie noch lange nicht dasselbe dafür bezahlt!

Nehmen wir also mal an, Du hast über all der Rechnerei die Revolution in Paris noch nicht verpaßt und willst immer noch hin. Du kommst also mit Deiner Sparpreiskarte abends um elf zum Bremer Bahnhof. Und was siehst Du da? - Drei große Reisebusse stehen abfahrbereit direkt vor dem Portal. Auch sie fahren nach Paris und verlangen pro Kopf 59 Mark - hin und zurück.

Dirk Asendorpf

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen