BERMUDA-DREIECK

■ „Erinnerungen an S.“ vom „Theater in der Porzellangasse“

Mit S. ist Salome gemeint, die, wie man aus der Bibel weiß, als Lohn für ihr Tanzen vor ihrem Stiefvater und Onkel Herodes, von ihm den Kopf des Propheten Johannes forderte. Beschwingte Kaffeehausmusik aus dem Lautsprecher. Sandra Markus tanzt auf die Bühne, aber nicht nach den Klängen, die wir hören sondern nach denen, die aus ihrem Walkman kommen, und das sind andere. Sie kann sich an ein rauschendes Fest erinnern, doch nun sind nur noch Kippen, abgestandener Champagner und zwei Brandlöcher im Sofabezug übrig geblieben - sagt sie, denn sehen tut man davon nichts. Im Gegenteil, es sieht ganz sauber und ordentlich aus auf der Bühne: kein Fleck auf dem hellgrauen Teppichboden, das Sofa ist mit einer karminroten Decke bezogen, in der Mitte des Raumes hängt ein purpurner Vorhang von der schwarzen Decke herunter, ganz hinten sieht man ein Telefon auf einem Stapel Telefonbücher vor einer schwarzen Wand. Das ist alles. Düster surrealistisch sieht's aus. Man beginnt zu ahnen, daß das rauschende Fest womöglich genauso erfunden ist wie die Geschichte aus der Bibel.

Damit ist man aber auch schon mitten drin im Stück. Orientierungslos irrt die Frau auf der Bühne und mit ihr das Publikum zwischen Erinnerungen und Erfindungen herum („Ich komme mir doch immer mehr abhanden im Gestrüpp der Bilder und Erinnerungen, die mir nicht gehören“), verfängt sich in der Geschichte Salomes, bis sie am Ende Selbstmord begehen muß, indem sie den Kopf in den Gasofen steckt. Dazwischen türmt sich eine erfundene Erinnerung auf die andere, amorpher Wortschotter, der bei jedem Zugriff zu Staub zerfällt. Man möchte der Ödnis, die sich ausbreitet, entfliehen - vor allem bei dem schönen Wetter draußen.

An Sandra Markus lag es nicht, sie bemühte sich redlich, so gut es eben möglich war, dem Wortschwall Leben und Gestalt zu geben. Nein, es lag an dem unscheinbaren, alten, 32 Jahre jungen Mann, den sie am Schluß mit auf die Bühne nahm. Lukas B.Suter, Autor und Regisseur des Stücks, schrieb in „Erinnern Erfinden“, einem fiktionstheoretischem Traktat, das als Vorwort zum Stück im Programmheft abgedruckt ist: „Das 'griffige‘ Gegenwartsstück (...) drückt sich um die Frage, ob unsere Realität noch theaterfähig sei als gespiegeltes Objekt und Gegenstand der Erkenntnis, beziehungsweise, ob das Theater noch realitätsfähig sei als Spiegel und Mittel der Erkenntnis, und negiert, daß Dramatik - in welcher Ausprägung auch immer - in erster Linie über die Formproblematik zu wesentlichem Inhalt gelangt.“ Suters Stück tut das nicht und deswegen ist es ja auch genauso öde und langweilig wie der Satz aus dem Programmheft. „Ein erfülltes Leben läßt sich nur erfinden“ - wer sich daran hält, vergißt, daß es für jede Erinnerung und jede Erfindung einen Kern gibt: ein Erlebnis. Nur wer das nicht hat, kommt auf solche Sätze. Und der „wesentliche Inhalt“? Er verschwindet irgendwo im Bermuda-Dreieck zwischen Fiktion, 'realem Leben‘ und dem Ich. Und das sollte das Stück am besten auch tun.

Michael Vahlsing

„Erinnerungen an S.“ von Lukas B.Suter noch vom 30.Mai bis zum 3.Juni jeweils um 20 Uhr im Studio des Renaissance -Theaters, Knesebeckstr.3, 5.Stock, 1-12