„Gefangene aller Länder, vereinigt euch!“

Bundeskongreß entwicklungspolitischer Gruppen zum Thema „Kultur und Widerstand“: Ex-Tupamaro und Schriftsteller Mauricio Rosencof trat im Knast und in der HAmburger Fabrik auf / Nächster Kongreß behandelt Thema EG-Binnenmarkt  ■  Aus Hamburg Ute Scheub

Und plötzlich verdoppelte sich die Biografie: Mauricio Rosencof, ehemaliger Commandante der uruguayanischen Stadtguerilla „Tupamaros“ und Schriftsteller, und Peter -Jürgen Boock, ehemaliges RAF-Mitglied und Schriftsteller, trafen sich im Hamburger Knast Santa Fu. Beide hatten in der Isolationshaft zum Schreiben als Mittel des Überlebens gegriffen, beide setzen, weg vom bewaffneten Kampf, auf eine politische Neuorientierung ihrer früheren Gruppe - die Ex -Tupamaros haben sich mittlerweile als einflußreiche legale Strömung etabliert. Rosencof, der wegen des Bundeskongresses entwicklungspolitischer Gruppen (Buko) unter dem Motto „Kultur und Widerstand“ in Hamburg war, hatte sich diese Begegnung mit den Knackis gewünscht. Von 1972 bis 1985 saß er in den Kerkern der damaligen Militärdiktatur Uruguays, sein Freund Ricardo Coiaso, mit dem er zusammen Geschichten und Gedichte aus jener Zeit der Tortur vortrug, acht Jahre.

„Wir aßen Klopapier und Insekten, weil wir nicht genug zu essen hatten, wir tranken unseren eigenen Urin“, berichtete der Schriftsteller und Theaterautor. „Wenn wir euch schon nicht töten dürfen, dann machen wir euch wahnsinnig“, hatte ein Militärkommandant den neun festgenommenen Tupamaros -Commandantes gesagt. Einer von ihnen starb, zwei wurden tatsächlich verrückt. Rosencof selbst wurde elfeinhalb Jahre in einen ein mal zwei Meter großen Kerker in Isolationshaft gesperrt: „Wir durften niemand sehen, mit niemand sprechen, nicht lesen und nicht schreiben.“

Der verbotene Akt des Schreibens, auf Zigarettenpapier zum Beispiel, war für ihn die letzte Möglichkeit, sich die Menschenwürde zu erhalten. „Wir wünschten uns, wenigstens als Hunde behandelt zu werden. Jeden Morgen hörten wir von ferne das glückliche Gebell von Hunden, die genug zu essen hatten - anders als wir -, die in der Sonne rennen durften anders als wir -, die zusammen sein durften - anders als wir.“ Eine „Gänsehaut“, wie Boock und andere sagten, verspürten die Gefangenen bei diesen Erzählungen.

Für die Ex-Tupamaros war diese Veranstaltung „wichtiger als alle anderen draußen“. Rosencof sorgte sich besonders, ob auch die etwa 60 in den Sicherheitstrakten isolierten Häftlinge teilnehmen durften. Doch die Antwort war Nein. Nach einer Stunde verabschiedete er sich mit vielen Umarmungen und einigen seiner Bücher als Geschenk: „Gefangene aller Länder, vereinigt euch.“

„Kultur als Mittel zur Wahrung der politischen Identität“, so lautete der Titel einer von Buko und Initiativkreis zur Erhaltung der Hafenstraße getragenen Veranstaltung in der Hamburger „Fabrik“. Ingrid Strobl war dazu eingeladen worden. Für sie verlas die Theaterregisseurin Barbara Bilabel ein Grußwort und das Vorwort aus ihrem neuen Buch „Frausein allein ist kein Programm“. Dem Motto des Kongresses könne sie nur zustimmen, schrieb sie. Aber auch: „Es ist kein Verdienst, eine Frau des Wortes zu sein, es ist nur ein Privileg und manchmal ein Zurückschrecken vor der konsequenteren Haltung.“

Mauricio Rosencof nutzte diesmal die Gelegenheit, den Erfindungsreichtum der Gefangenen in der ganzen Welt zu würdigen. Weil sie selbst nicht miteinander sprechen durften, hätten sie in Uruguay eine Gestensprache und das Morsealphabet neu erfunden. „Klopfzeichen für Klopfzeichen erzählten wir uns unsere Geschichte und unsere Pläne. Unter den damaligen 40.000 Gefangenen gab es keinen, der nicht ein Gedicht hinterlassen hatte.“

Gegen den beeindruckenden Vortrag und den Humor, den sich der ehemalige Tupamaro trotz allem erhalten hat, kam Barbara Ernst auf dem Podium nicht an. Sie hatte vor kurzem ihre vier Jahre wegen Unterstützung der RAF abgesessen. „Das war für uns irgendwie total nah“, so und ähnlich formulierte sie „wie die Gefangenen weltweit gegen die Isolationsfolter kämpfen“.

Auf einem Plenum zum Abschluß des Kongresses stellte Abadio Green aus Kolumbien die Gegenaktivitäten zur 500-Jahr-Feier der Entdeckung Amerikas im Jahre 1992 vor, die hierzulande durch Aktivitäten zum Thema „500 Jahre Invasion aus Europa“ ergänzt werden sollen. Der nächste Kongreß der Buko wird, in Fortsetzung der Kampagne gegen den IWF, den EG-Binnenmarkt auf die Tagesordnung setzen.