Das Ende der Pekinger Kommune

■ In China sind die Würfel gefallen / Unter den Studenten breitet sich Angst und Resignation aus

Nach drei Wochen Hungerstreik, Euphorie und Dauerdemonstrationen zeichnet sich in Peking ein Ende der Proteste ab. In der Parteispitze sind die Würfel gefallen, die konservative Fraktion um Deng Xiaoping hat offenbar auf ganzer Linie gesiegt und auch die Armeeführung wieder hinter sich gebracht. Schon gehen die Gerüchte über bevorstehende Verhaftungen in Peking um, viele der Aktivisten der vergangenen Wochen haben Angst. Bei ihrer gestrigen Demonstration hatte sich die Wende bereits vollzogen. Die Studenten blieben unter sich, die Verratskampagne von oben tut ihre Wirkung.

Der tagelange Machtkampf in der Führungsspitze der chinesischen KP ist zugunsten der Hardliner entschieden. Ministerpräsident Li Peng (61) hat - unterstützt vom starken Mann Chinas Deng Xiaoping und den Konservativen Yang Shangkun, Wang Zhen und Chen Yun - die Regierung konsolidiert und bereitet nach Ansicht von Beobachtern eine Niederschlagung der Proteste mit Polizei- und Militärgewalt vor. Alle Wege, über Verhandlungen zu einer politischen Lösung zu kommen, sind in den letzten Tagen von der Regierung systematisch verbaut worden. Mit der Entmachtung der Führungsfigur des liberalen Reformflügels, Parteichef Zhao Ziyang, soll die innerparteiliche Opposition mundtot gemacht werden.

Inoffiziellen Meldungen zufolge wird der 70jährige Zhao Ziyang heute auf einer erweiterten Sondersitzung des ZK auch offiziell aller Posten enthoben. Seine einstigen Zöglinge attackierten Deng mit Kampfbegriffen wie „Verräter“ und „Konterrevolutionär“. Laut Deng sei die Krise durch eine „kleine Clique Konterrevolutionäre mit Zhao als Anführer“ hervorgerufen worden, die Studenten zu weiteren Protesten ermuntert hätten. Mit dieser Verurteilung müssen auch alle Anhänger Zhaos im ZK und der Partei mit der Ausschaltung rechnen. Während in der Partei eine umfassende Säuberungswelle vorbereitet wurde, versicherte sich Li Peng der Unterstützung der Armeekommandeure. Unsichere Kandidaten werden vor dem Sturm noch ausgetauscht.

Im Gegensatz zu den Studentendemonstrationen von 1986 werden jedoch nicht alle Teilnehmer der Bewegung angegriffen. Auf einer Sitzung des ständigen Ausschusses der Konsultativkonferenz des chinesischen Volkes mochte der frühere Staatspräsident Li Xiannian den Studenten gute Absichten nicht absprechen. Sie seien lediglich von einer „ganz kleinen Minderheit“ für ihre „sozialfeindlichen Ziele“ benutzt worden. Offenbar hat die Regierung aus der Vergangenheit gelernt und weiß, daß eine pauschale Verurteilung der Demonstranten nur eine noch größere Protestwelle hervorrufen würde.

Dennoch hat sie nicht nur rhetorisch, sondern auch militärisch vorgebaut. Neue loyale Truppen stehen um Peking zum Eingreifen bereit. Das Parteikomitee Peking soll bereits eine schwarze Liste mit Hunderten von Namen erstellt haben, die nach dem Einmarsch der Armee verhaftet oder aus der Partei ausgeschlossen und von ihrem Dienst entbunden werden sollen. Darauf sind die Namen von Studentenführern, kritischen Parteimitgliedern aus dem Umfeld Zhaos sowie und Professoren zu finden. Das Versprechen der Parteiführung, nach dem Ende der Proteste keine Abrechnung gegen die Aktivisten der Bewegung durchzuführen, sei eine „Farce“, warnen stündlich die Lautsprecher des Studentenrundfunks auf dem Campus. „Sobald das Militär die Stadt stürmt, fängt die Säuberung sofort an.“

Die Soldaten werden mit „politischer Erziehung“ vorbereitet, „alle Befehle der Partei auszuführen“, warnen Studentenvertreter. Parteimitglieder werden aufgerufen, alle Weisungen der Regierung zu befolgen und aktiv als Vorbild die „Unruhen“ zu bekämpfen. Seit die Hardliner die Oberhand gewonnen haben, erscheint eine Ausgabe der 'Volkszeitung‘ konservativer als die andere. Die Ausgabe vom Samstag enthielt auf der Titelseite nur Aufrufe zur „Disziplin“ und zum „Studium der Rede Li Pengs“, erweitert durch Unterstützungserklärungen für Li Peng von hohen Parteiorganen wie der zentralen Disziplinarkommission und dem ständigen Komitee der zentralen Beratungskommission. Beide Gremien galten stets als Hort der alten Konservativen, die Deng Xiaoping vor Jahren versuchte, von der Politik fernzuhalten. Die Beraterkommission verbreitete eine bezeichnende Ursachenanalyse der Proteste: „Wir haben zu lange Zeit die marxistische Erziehung vernachlässigt.“

Am Samstag war der Tiananmen-Platz zum ersten Mal leer, es fand keine Demonstration statt. Bis 18 Uhr hielten nurmehr 5.000 Studenten die Besetzung aufrecht. Die Reihen der Umstehenden haben sich fast ganz gelichtet. Erstmals seit zwei Wochen ist das Zentrum wieder dem Verkehr voll zugänglich. Viele der auswärtigen Studentendelegationen haben die Heimreise angetreten. Alle Stadtbusse, die bisher den Studenten auf dem Platz Unterkunft und Schatten boten, haben wieder den normalen Fahrbetrieb aufgenommen. Zwischen dem Meer aus roten Fahnen, die symbolisch den Platz weiterbesetzen, haben die verbliebenen Studenten Zelte aufgeschlagen. Die Berge von Müll sind weitgehend entfernt, die überflüssig gewordenen Straßenabsperrungen zur Verkehrsregelung abgebaut worden. Ein Sprecher des Hochschulbundes erklärt: „Für die Nacht kommen viele von den Unis hierher, um die Mindestpräsenz von über 10.000 Studenten zu garantieren, morgens fahren sie wieder zurück. Wir haben zwei Wochen lang das ganze Zentrum Tag und Nacht mit mindestens 200.000 Menschen besetzt gehalten, aber jetzt ist die Erschöpfung einfach zu groß.“ Ein anderer meinte, daß die Mahnwache vor dem Regierungssitz dagegen nicht verringert worden sei. Dort halten Demonstranten die volle Präsenz aufrecht. An den Unis ist mit Enttäuschung aufgenommen worden, daß 'BBC‘ bereits von der Niederlage der Stundenten und dem Ende der Demonstrationen gesprochen hat.

„Wir haben unsere Aufmerksamkeit nicht vom Tiananmen abgewandt“, sagte ein Sprecher der Studenten. „Der Platz ist zum Symbol unserer Bewegung geworden, und er ist das Zentrum für die Demonstrationen und Proteste. Wenn die Regierung die Kontrolle über den Platz gewinnt, kontrolliert sie damit auch die Demonstrationen. Ein Verlust des Platzes würde dem ganzen Land unsere Niederlage signalisieren. Der Platz ist daher für die Studenten von strategischer Bedeutung. Sie sind überzeugt, daß falls das Militär den Platz nehmen will, Hunderttausende Pekinger auf die Straße gehen und sie schützen werden.“

Thomas Reichenbach