Bush: Ablenken statt Abrüsten

Zum Gipfel: Die USA wollen auch mal einen Vorschlag machen / Nato-Truppen um zehn Prozent reduzieren  ■  Aus Brüssel Andreas Zumach

Ohne einen Kompromiß im Streit um die atomaren Kurzstreckenraketen beginnt heute in Brüssel der ursprünglich zur Demonstration der Geschlossenheit und eigener Erfolge geplante zweitägige Gipfel zum 40. Jahrestag der Nato. Mit ihrer durch gezielte Indiskretionen bereits vor drei Tagen bekanntgewordenen Bereitschaft zur Verringerung der in Westeuropa stationierten US-Truppen hofft die Bush-Administration die Aufmerksamkeit vom bislang die öffentliche Diskussion beherrschenden Raketenstreit abzulenken und gegenüber Gorbatschows Abrüstungsschritten und -vorschlägen endlich ein Stück aus der Defensive zu gelangen. Die Bekanntgabe dieser Absicht zum jetzigen Zeitpunkt soll außerdem der Disziplinierung der Bundesregierung und anderer im Raketenstreit von Washington als aufmüpfig empfundener Bündnispartner dienen, die vorab weder informiert noch konsultiert wurden.

Erst heute morgen will der US-Präsident den anderen 15 Staats- und Regierungschefs sowie den Außenministern der Allianz Einzelheiten seiner Pläne erläutern. Bereits am Wochenende dementierten US-Sprecher Meldungen der von der Sekte des Koreaners Moon herausgegebenen 'Washington Times‘ vom Freitag, wonach ein einseitiger Abzug von zehn Prozent der 340.000 US-Soldaten in Westeuropa geplant sei. Gedacht ist statt dessen an bilateral mit der UdSSR oder aber zwischen Nato und Warschauer Vertragsstaaten bei den Wiener Verhandlungen vereinbarte niedrigere Obergrenzen der Truppenstärken der beiden Bündnisvormächte in Europa, deren Erreichung auf US-Seite eine Reduzierung um 34.000 Mann erforderte. Genannt wurden am Wochenende aber auch Zahlen von zunächst nur 20.000 Soldaten.

Hauptgrund für den zwischen Bush, Außenminister Baker, Verteidigungsminister Cheney, Sicherheitsberater Scowcroft und dem Chef der Vereinigten Stabschefs, Crowe, am vorletzten Fortsetzung auf Seite 2

FDP und Raketen Seite 4

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Wochenende vereinbarten Vorschlag sind nach Crowes Angaben Sparmaßnahmen im US-Verteidigungshaushalt. Bei den Wiener Verhandlungen über konventionelle Streitkräfte hat die Nato bislang keinen gemeinsamen Vorschlag für eine Reduzierung von Truppen vorgelegt, während die WVO-Staaten zu Verringerungen um bis zu 50 Prozent bereit sind.

Ein Nato-Vorschlag, für den die USA bei den internen Bündnisberatungen vor Verhandlungsaufnahme Anfang März plädiert hatten, scheiterte vor allem am Widerstand Bonns. Auf der Hardthöhe wurde befürchtet, bei einer Reduzierung der Nato-Truppen käme es zu einer

prozentual höheren Verringerung der US-Soldaten - etwa im Vergleich zur Bundeswehr, niederländischen oder britischen Truppen - und entsprechend größeren Einsparungen im US -Verteidigungshaushalt.

Dies bedeute eine Umschichtung finanzieller Lasten durch die Hintertür. Außerdem wird befürchtet, daß Truppenreduzierungen eine „Eigendynamik“ entwickeln könnten, an deren Ende US-Truppen gar nicht mehr oder nur noch mit einem symbolischen Kontingent in Westeuropa vertreten sein könnten.

Seit geraumer Zeit gibt es Hinweise, wonach die USA bilaterale Gespräche mit der aus ökonomischen Gründen ebenfalls dringend an Truppenreduzierungen interessierten UdSSR führten und entsprechende Vereinbarungen notfalls auch ohne

die Bündnispartner zu treffen und umzusetzen bereit seien.